Bauernopfer
versuchte Charly dem Tag etwas Positives abzugewinnen, als er sich müde in den Beifahrersitz fallen ließ.
»Fast alle«, konterte Sandra und startete den Wagen.
»Ach, ja! Die Kranken und Urlauber. Das reicht nächste Woche auch noch.«
»Und den Säbelzahntiger!«
Charly schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Klar, die Berthold, die haben wir jetzt ganz vergessen. Aber brauchen wir die überhaupt?«
Sandra zuckte mit den Schultern. »Wenn wir sagen alle …« Dann fuhr sie aus dem Parkplatz heraus.
Da hatte die Kollegin recht. Wenn auch im Fall der Sekretärin die meisten Fragen schon beantwortet waren. Außerdem hatte sie ein Alibi, denn Helmuths Frau hatte ja mitgeteilt, dass sie ihre Samstagnachmittage immer im Pflegeheim verbrachte. Dennoch, um die Aufgabe ordnungsgemäß abzuarbeiten, musste auch die Sekretärin offiziell befragt werden. »Nur für den Bericht, wegen meinem Chef«, hätte Columbo wohl jetzt gesagt und sich die Zigarre an die Schläfe gehalten.
Charly konnte sich zwar nicht vorstellen, dass die Abtreibung von damals mit dem Mord an Bichler zusammenhing, aber das Ganze abzuklären konnte ja nicht schaden. Außerdem versprach er sich nach dem Tag in dem modrigen Brotzeitraum einen angenehmen Kontrast beim Besuch einer 4711-Lavendel-Wohnung.
»Wir können ja schnell noch bei ihr vorbeifahren«, sagte er nach einem Blick auf die Mitarbeiterliste, in der auch die Anschrift vermerkt war. »Liegt ja eh fast aufm Weg.«
Sandra nickte und bog nach rechts ab, um zur Blücherstraße zu gelangen. Viele Autofahrer nutzten um diese Tageszeit die Parallelstraßen durch die Wohnviertel, um dem zähflüssigen Verkehr auf der stadtauswärts führenden Münchener Straße zu entgehen. Nachdem sie einen passenden Abstellplatz für den Dienstwagen erst 100 Meter nach ihrem Ziel gefunden hatten, gingen sie durch die belebte Straße zurück. Hier fanden sich die Rückseiten einiger großer Geschäfte und die dazugehörigen Parkplätze, aber auch kleine Handwerksbetriebe, die im Laufe der Zeit für die vorhandenen Grundstücke viel zu groß geworden waren und mit Fahrzeugen, Maschinen und Werkstücken geschickt auf dem vorhandenen Platz jonglierten. Dazwischen standen stolze Stadthäuser hinter dichten Hecken in großzügigen Gärten und daneben neue Wohngebäude in allen Breiten und Höhen, zum Teil auf Grundstücken, deren Grenzen sich unter der massiven Bebauung zu biegen schienen. Auch bei der Adresse von Frau Berthold handelte es sich um einen solchen Dreispänner, der Charly unweigerlich an einen Hasenstall erinnerte. Die Sekretärin bewohnte die mittlere der drei Wohneinheiten und die räumliche Enge hatte sie nicht gehindert, zumindest den Vorgarten liebevoll zu gestalten. Ein Weg aus hellen Steinen bog sich elegant zur Haustür. Daneben leuchtete eine kniehohe Solarlaterne in einem Beet mit Herbstblumen. In einer Raute aus großen Flusskieseln thronte eine mächtige Granitkugel. Die restliche Fläche war mit Rindenmulch bedeckt und ein tönerner Gärtnerjunge blickte einem frech lächelnd und eine Schubkarre schiebend entgegen. Auf einem geschwungenen Messingschild unter dem Klingelknopf war »A. Berthold« eingraviert.
Charly betätigte die Klingel und fragte Sandra: »Ist der Säbelzahntiger ledig?«
Sandra zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich, sonst wär’n doch da zwei Vornamen abgekürzt oder gar keiner.«
Frau Berthold öffnete die Tür und war sichtlich überrascht, als sie die zwei Kripobeamten erkannte. Sie musste sogar kurz schlucken. Ihre elegante Sekretärinnenkluft hatte sie gegen einen grauen Hausanzug getauscht, wirkte darin aber nicht weniger gepflegt.
»Guten Abend, Frau Sä … ähm, Frau Berthold. Entschuldigen S’, dass wir Sie noch mal belästigen, aber wir haben ganz vergessen, dass wir Sie der Vollständigkeit halber auch befragen müssen. Stör’n wir?«
»Ja, äh … nein … ’tschuldigung … bitte.« Sie öffnete die Tür ein Stück weiter und beschrieb mit der freien Hand einen einladenden Halbkreis.
Charly war sofort das Kölnisch-Wasser-Aroma aufgefallen. Jetzt, als sie in die Diele traten, mischte es sich mit dem Geruch von scharf angebratenem Fleisch, Bratkartoffeln mit Kümmel und der säuerlichen Note von klassisch angemachtem Salat. Charly merkte, dass er gewaltigen Hunger hatte. Die Mittags-Wurstsemmeln lagen jetzt auch schon wieder sechs Stunden zurück.
»Sind Sie gerade beim Abendessen?«, fragte Charly und ließ es entschuldigend
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