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Baustelle Baby (German Edition)

Baustelle Baby (German Edition)

Titel: Baustelle Baby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonya Kraus
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megaschwere Sessel den Weg in den Wohnbereich meiner Mutter. Voller Vorfreude machte ich mich dann auf zu meinem ganz persönlichen Sexshop – dem Baumarkt – und kaufte Material. Wieder zu Hause ließ ich alle wichtigen Aufgaben liegen und stürzte mich euphorisch auf mein Opfer.
    Ich riss Bezug und Polsterung runter, beizte den alten dunklen Lack ab, schliff das Holz, lackierte, polierte, lackierte erneut und polsterte das Ding.
    Endlich war der Sessel bereit für sein neues Kleid, den Bezug. Nach etwa drei Tagen und insgesamt rund zehn Arbeitsstunden erstrahlte das Sitzmöbel in einem ganz neuen Look. Das ehemals dunkle und wuchtig wirkende Holz hatte ich seidenmatt-weiß gestrichen und den scheußlich bunten geflockten Bezug durch einen in hellblauem Vichy-Karo ersetzt. Meine Mutter kürte das Werk noch mit zwei kleinen Kissen in Rosa und Zartgelb – und fertig war der Vorlesesessel. Oder meinetwegen auch der Stillsessel.
    »Sieht super aus, das Ding!«, lobte Mama mein Schaffen und ließ sich in die Kissen plumpsen. »Oh, und irre bequem ist er auch.«
    Selbst meinem Freund gefiel der neue Look fürs alte Möbel. Ich war stolz wie Oskar und mein Nestbautrieb zumindest für eine Weile befriedigt ...
    Etwa eine Woche nach Fertigstellung unseres Babythrons kam Frau Fädler bei uns vorbei, eine liebe, hilfsbereite Nachbarin, Mitte sechzig und immer auf einen Plausch mit meiner Mutter aus.
    »Frau Kraus, ich wollte mich nur aus der Kur zurückmelden ...« Nach ein paar Minuten hatten es sich die Ladys am Esstisch mit einem Teechen gemütlich gemacht und waren am Schnattern.
    »Jetzt stellen Sie sich mal vor, was mein Mann, das Arschloch, wieder angestellt hat ...«
    Ich war gerade auf meinem Pilgerweg in Richtung Kühlschrank und blieb schmunzelnd stehen. Die häuslichen Streitigkeiten der Fädlers waren in der Nachbarschaft legendär: unüberhörbar lautstark, hemmungslos deftig und temperamentvoll, aber niemals gewalttätig (von ein paar Wurfgeschossen mal abgesehen). So wurde rituell und regelmäßig gezofft. Allerdings nur, um kurz danach auf eine Art und Weise Versöhnung zu feiern, wie man es einem Seniorenpärchen nur schwer zutrauen würde.
    »Dieser Schweinehund!«, echauffierte sich Frau Fädler weiter. »Da bin ich mal zwei Wochen aus dem Haus, und was macht der?« Meine Mutter hatte mich in der Küche entdeckt und arbeitete mit mäßigem Erfolg daran, ein Grinsen zu unterdrücken. »Was hat er denn verbrochen, Frau Fädler?«
    »Der Saukerl hat die Gelegenheit genutzt und meinen alten Lieblingssessel auf den Müll gestellt! Können Sie sich das vorstellen?« Das Schmunzeln meiner Mutter erstarb in Millisekunden und wich dem geschockten Gesichtsausdruck eines Berufsverbrechers, den man in flagranti bei einem Millionenraub mit einhergehender Körperverletzung ertappt hatte. Frau Fädler musste blind sein, wenn sie die Tätowierung mit dem Schriftzug SCHULDIG! auf der Stirn meiner Mutter nicht sah. Höchste Zeit für Agentin Kraus junior im Dienste des Kinderzimmers ein sofortiges Geständnis zu verhindern – ich flitzte an den Esstisch.
    »Na, so ein Schlawiner! Wie sah der Sessel denn aus?« Die Chancen standen zwar schlecht, dass es sich beim Corpus Delicti nicht um »meinen« Sessel handelte, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
    »Ach, das war eigentlich ein altes, schrabbeliges Ding, aber eben so gemütlich ...« Meine Mutter war immer noch stumm, und ich versuchte sie mit Blicken wie Laserpfeile davon abzubringen, bereitwillig zu beichten.
    »Frau Fädler, war er denn wertvoll?« Die Frage war rein rhetorisch. Freiwillig würde ich mein Prunkstück nicht rausrücken. Hier galt es, Zeit zu schinden, um von meiner paralysierten Mutter abzulenken.
    »Na ja, wertvoll bestimmt nicht. Das alte Zeug ist ja heute nix mehr wert. Ihr jungen Leute wollt ja nur noch Designer-Möbel.« Ich nickte eifrig.
    »Wo hatten Sie den Sessel denn her?« Okay, wenn sie jetzt erzählte, das Möbel sei eine Erinnerung an ihre Lieblingstante, dann würde meine Mutter sofort plaudern, und ich musste meinen Thron wohl oder übel doch hergeben.
    »Puh, ich glaub, wir haben den Sessel vor gut und gerne vierzig Jahren auf dem Trödel gekauft. Der Bezug hat mir immer so gut gefallen ...« Ich entdeckte ein kurzes Zucken im Gesicht meiner Mama. »Aber mein Mann wollte das schwere Trumm schon ewig loswerden, um Platz zu schaffen. Jetzt hat er so einen schicken Massagesessel gekauft. Frau Kraus ...«, jetzt wandte sie sich

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