Baustelle Demokratie
2006, 1) kann, ist aber nicht nur in Staat und Wirtschaft Bewegung nötig. Auch die Bürgergesellschaft selbst muss sich in die Lage versetzen, die ihr zugedachte Funktion einzunehmen. Dass zum Prozess der Neuerfindung der sozialen Demokratie auch die Öffnung und Demokratisierung der bürgergesellschaftlichen Organisationen selbst gehören, ist daher ein eigenes Kapitel in der Engagementpolitik.
Denn bürgerschaftliches Engagement steht beileibe nicht für einheitliches Handeln mit einheitlichen Zielen. Und vieles, was unter »Engagement« firmiert, dient in Wahrheit nur den je eigenen Interessen. Der Manager eines Technik- und Luftfahrtkonzerns, der sich ein Haus vor den Toren Berlins gekauft hat und sich nach Bekanntgabe der An- und Abflugrouten des neuen Flughafens Berlin Brandenburg International in Schönefeld an die Spitze der Protestbewegung setzt, handelt, so darf man mit einiger Berechtigung unterstellen, unter dem Deckmantel des Engagements in privatem Interesse. Die Mutter aus dem Hamburger Nobelvorort Blankenese, die sich vehement gegen eine Schulreform zur besseren Förderung sozial benachteiligter Kinder engagiert und mit vielen anderen bürgerlichen Gesinnungsgenossinnen und -genossen erfolgreich eine Volksabstimmung gegen diese Schulreform initiiert, handelt unter dem Mantel des bürgerschaftlichen Engagements in privatem Interesse. Diese Beispiele mögen noch »Petitessen« darstellen. Richtig problematisch wird es, wenn bürgerschaftliches Engagement direkt in die »unzivile Zivilgesellschaft« (Roth 2008) führt. Die NPD betreibt Jugendclubs in Mecklenburg-Vorpommern, organisiert Hausaufgabenhilfe, Freizeitgestaltung und Sommerfeste, alles ehrenamtlich und unentgeltlich. So ist sie mittels »bürgerschaftlichen Engagements« in den Schweriner Landtag und viele Kommunalparlamente gelangt.
Die Bürgergesellschaft und das Engagement müssen also bestimmte Kriterien erfüllen, um ihre Demokratie stärkende und verbessernde Funktion wahrnehmen zu können (vgl. ebd., 86ff.). Dabei geht es um Offenheit zivilgesellschaftlicher Organisationen, die möglichst unhierarchisch strukturiert und für alle Interessierten zugänglich sein müssen. Außerdem ist eine Anerkennung von Menschenrechten und sozialen Bürgerrechten unabdingbar, wenn die Bürgergesellschaft nicht ihrerseits zu neuen Ungerechtigkeiten und Ausschlüssen führen soll. Schließlich hängt die Legitimität bürgergesellschaftlichen Handelns ganz entscheidend vom Faktor Transparenz ab. Hier gibt es gute Ansätze wie die »Initiative transparente Zivilgesellschaft« (vgl. Transparency International Deutschland e.V. 2011), mit der alle bürgergesellschaftlichen Organisationen aufgerufen sind, Organisationsstruktur und Finanzierungswege offenzulegen. Es gibt aber auch zahlreiche Initiativen und Organisationen, die solche Auskünfte verweigern. Dies entzieht dem Engagement die Legitimation und macht es besonders da angreifbar, wo es um die Verquickung von privatem und Gemeinwohlinteresse geht. So verweigerte etwa im Jahr 2008 das Bündnis, das einen Volksentscheid gegen die Schließung des Berliner Flughafens Tempelhof initiiert hatte, die Auskunft über seine Finanzierungsquellen, mit deren Hilfe eine massive öffentliche Kampagne gegen den Berliner Senat veranstaltet wurde. Und so besteht bis heute der Verdacht, dass unter dem Deckmantel der Bürgerbeteiligung und der demokratischen Mitbestimmung finanzstarke Interessengruppen ihren eigenen Vorteil durch eine Aufrechterhaltung des Flugbetriebs in Tempelhof sichern wollten.
Nur wenn die Bürgergesellschaft selbst die Prinzipien beherzigt, die sie in Staat und Wirtschaft einfordert – Offenheit, Transparenz, Fairness –, kann sie Legitimation für sich beanspruchen und behaupten, im Gemeinwohlinteresse zu handeln. Das gilt im Prinzip für alle Organisationen und Initiativen der Bürgergesellschaft, aber es gilt im besonderen Maße für Organisationen, die sich in einer Zwitterstellung zwischen Wirtschaft und Bürgergesellschaft befinden.
Zu Stiftungen und ihren Aufgaben im Rahmen partizipativer Governance-Strukturen wurde bereits einiges gesagt. Die Diskussion darf aber auch die Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege nicht ausnehmen. Denn die Freie Wohlfahrtspflege bildet eine wichtige Größe für die Einrichtung und damit das »Regieren« des Gemeinwesens. Große Verbände wie Caritas, Diakonie und AWO (Arbeiterwohlfahrt), aber auch Nachbarschaftsheime und andere freie Träger in
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