Baustelle Demokratie
Entscheidungsfindung, sondern in der öffentlichen Meinungsbildung. Dass Parteien laut Grundgesetz bei der Willensbildung des Volkes »mitwirken« (Art. 21), bedeutet nicht, sie besäßen das Monopol auf Meinungsbildung. In der »Bürgergesellschaftskammer« müssten politische Entscheidungsträger Rede und Antwort stehen; hier könnten Kommentare und Anregungen für den politischen Prozess verfasst oder gebündelt werden, um sie in den Gremien von Bundestag und Bundesrat verbindlich zu behandeln.
Die Demokratie braucht so viele offene und freie Kommunikationskanäle wie möglich. Auf sie kommt es bei der Aufwertung des bürgerschaftlichen Engagements an, denn es kann nur dann sichtbar werden, wenn es im öffentlichen Bewusstsein präsent ist. Die institutionelle Verankerung des bürgerschaftlichen Engagements im öffentlichen Bewusstsein wäre ein wichtiger und wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einem neuen Verhältnis von Staat und Gesellschaft. In jüngster Vergangenheit gibt es ein positives Beispiel aus dem Zentrum der Politik, das zumindest in die richtige Richtung weist. So hat die Bundestagsfraktion der SPD einen offenen Online-Dialog zu zentralen Zukunftsfragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gestartet (https://zukunftsdialog.spdfraktion.de/). Man darf gespannt sein, wie sich die Debatte auf dieser neuen Dialogplattform gestaltet.
b) Wirtschaft – Profit und Verantwortung
Fast alle großen und mittelständischen Wirtschaftsunternehmen haben heute »Guide Lines« und »Mission Statements« zum Thema gesellschaftliche Verantwortung. Kein Jahresbericht ohne Verweis auf die gesellschaftlichen Aktivitäten eines Unternehmens, keine Ansprache ohne Bezug auf »Nachhaltigkeit« und politische Korrektheit. Das Thema Verantwortung ist präsent, wenngleich die Rolle der Wirtschaft im Zusammenhang mit neuen Governance-Strukturen bislang nicht besonders klar definiert ist
Nicht erst die Finanzmarktkrise hat die politische Relevanz wirtschaftlicher Macht zu Tage gefördert. Die weltweit größten Unternehmen machen heute Umsätze in Größenordnungen, die das Bruttoinlandsprodukt ganzer Staaten übertreffen. Gerade vor diesem Hintergrund müssen sich Unternehmen fragen lassen, wie sie Gewinne erzielen, das heißt mit welchen Geschäften und unter welchen Geschäftsbedingungen. Sie sehen sich dabei einer alerten Bürgergesellschaft gegenüber, in der sich eine in der Mediengesellschaft zunehmende Verbrauchermacht formiert.
Dass Unternehmen sich überhaupt bürgerschaftlich engagieren, ist zunächst nicht selbstverständlich. Man könnte sich auch auf den Standpunkt stellen, Unternehmen würden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bereits gerecht, indem sie Waren und Dienstleistungen produzieren und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, darüber hinaus Steuern zahlen und die Gesetze beachten (vgl. dazu auch Embacher / Lang 2008, 337ff.). Lange Zeit wurde diese Position von führenden Wirtschaftsvertretern verteidigt. Doch haben sich mittlerweile die Vorteile herumgesprochen, die es für ein Unternehmen mit sich bringt, sich als ein »Good Corporate Citizen« (ein »guter Unternehmensbürger«) zu profilieren (vgl. ebd., 314ff.). Dabei geht es um Reputationsgewinn und »Alleinstellungsmerkmale« am Markt und damit Verkaufsförderung (»Dieses Unternehmen engagiert sich für dies oder jenes, darum kaufe ich seine Produkte.«). Es geht aber auch um Personalentwicklung und Mitarbeiterbindung, denn Menschen wollen sich mit ihrem Arbeitsplatz oder ihrem Betrieb identifizieren, was freilich leichter fällt, wenn die Firma »Gutes tut«.
Nun wird Unternehmen oft – und oft auch zu Recht – vorgeworfen, sie wollten sich mit ihrem gesellschaftlichen Engagement lediglich von ihrem moralisch oder ökologisch schädlichen Verhalten freikaufen, ihr gesellschaftliches Engagement stelle deshalb nichts weiter als »Greenwashing« dar. Das heißt, positiv gewendet, Unternehmen können mit ihrem Engagement zum Gegenstand einer ethisch-moralischen öffentlichen Debatte werden. Die möglichen Vorteile ihres Engagements – für das Unternehmen, aber auch für die Gesellschaft – lassen sich eben nur realisieren, wenn dies im Einklang mit den ökonomischen Aktivitäten steht. In Deutschland ist diese Debatte – im Unterschied zu den USA und Großbritannien – bislang nur langsam vorangekommen. Allgemein lässt sich eine Tendenz zu einer strategischen Ausrichtung des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen
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