BE (German Edition)
Film – kein Weltuntergang per se, besonders wenn er Geld einspielt. Trotzdem waren während der Arbeit an »Ich und Er« Zweifel in Bernd aufgestiegen. Zweifel der grundsätzlichen Art. Da gab er nun alles – und für was? Damit er in diesem Moloch von einer Stadt saß und eine angebliche Komödie über einen Mann machte, der mit seinem Schwellkörper redet? New York in den Achtzigern war ein hartes Pflaster. Die Straßen waren bevölkert von obdachlosen Vietnamveteranen, die Verbrechensrate war enorm und die Zahl der Junkies noch viel höher. New York in den Achtzigern war nicht der Glamour aus »Sex and the City«, sondern vielmehr das dantische Inferno aus Slava Tsukermans Sci-Fi-Albtraum »Liquid Sky« aus dem Jahr 1982. Bernd, der durch seine negativen Erfahrungen mit Doris sowieso schon nervlich angegriffen war, rutschte in eine Depression. Im bereits zitierten Stern -Artikel schreibt er:
Ich hasse dieses Zimmer, ich hasse diese Stadt. Menschen, Menschen, Lärm, Mauern, überall. Wenn du mal den Himmel sehen willst, musst du dir den Hals ausrenken oder dich auf der Straße auf den Rücken legen. Panik steigt in mir auf bei der Vorstellung, ich muss hier Monate zubringen. Wie soll ich in diesem Chaos leben, meine Arbeit tun? Ich starre durch die Jalousien am Fenster hinunter auf die tief unter mir liegende 50ste Straße. Autos, Autos und Menschen, Tausende. Und das ist in dieser Stadt überall so. In jedem dieser Hochhäuser, die manchmal nur Meter auseinanderstehen, dreißig- bis vierzigtausend Menschen. Ein Fußballstadion neben dem anderen. Eine Völkerwanderung jeden Morgen, wenn die Büros gleichzeitig öffnen; eine Völkerwanderung jeden Abend, wenn die Leute wieder nach Hause gehen. Jedes Mal Straßen verstopft, U-Bahnen verstopft, Lokale verstopft, ein infernalischer Lärm, der bis zu mir hochdringt. Es gibt Leute, die das lieben – für mich ist das ein Albtraum. Eine Anhäufung von Extremen, wie es so auf der ganzen Welt nicht mehr zu finden ist – andererseits, das ist der Grund, weswegen wir genau hier die Geschichte unseres Filmes angesiedelt haben.
Mir ist schlecht vom vielen Rauchen, ich fühle mich zerschlagen und deprimiert und unablässig muss ich an die Zeile in dem Lied »New York, New York« denken … ›if you can make it here, you can make it anywhere‹ … wenn du es hier schaffst, schaffst du’s überall.
Ja, was denn eigentlich?
Bernd erzählte mir, er habe damals in New York mehrmals darüber nachgedacht, sich umzubringen. Er habe am Fenster gestanden und in den Abgrund gestarrt. Sogar Anlauf genommen habe er, um sich hinabzustürzen. Immer wieder. Am Ende habe ihm dazu der Mut gefehlt. Stattdessen tat er das, was in seiner Situation wohl die irrwitzigste aller möglichen Entscheidungen war: Er drehte noch einen Film in New York.
Kontrollverlust
WI eso soll Bernd Selbstmordgedanken gehabt haben?«, fragte mich Anna Gross, als wir nach Bernds Tod in Los Angeles zusammensaßen. »Bei Kaviar und Wodka im ›Russian Tea Room‹ will sich doch keiner umbringen! Da wär’ er ja bescheuert.« Nun, es war nicht der Kaviar, der Bernd gerettet hat. Und der Wodka garantiert auch nicht. Es war sein nächster Film. Ein Film, der von der Begierde im Angesicht der Verzweiflung handelt. Es war »Letzte Ausfahrt Brooklyn«. »Ich habe immer das Gefühl, wenn ich keinen neuen Film habe, den ich als Nächstes machen will, dann werde ich sterben«, hat Bernd mehrmals zu mir gesagt. »Solange ich einen neuen Film habe, an dem ich arbeiten kann, bleibe ich am Leben.« Das war einerseits Aberglaube, andererseits das Bewusstsein, dass Filmemachen ihm erlaubte, seine selbstzerstörerischen Tendenzen ins Gegenteil umzukehren und kreativ auszuleben. Bei kaum einem von Bernds Filmen ist dies deutlicher als bei diesem.
»›Letzte Ausfahrt Brooklyn‹ wäre ohne Bernd nicht passiert, wie auch andere Filme, die ohne Bernd nicht zustande gekommen wären. Das ist ja kein Geheimnis. Der Bernd hat diese Dinger auf die Beine gestellt. Als Regisseur hattest du großes Glück, wenn du ihn als Produzenten dabeihattest. Ich habe mit wirklich vielen Produzenten zusammengearbeitet, und nie hatte ich sonst jemanden, der so hinter mir stand und bei dem ich mich so kreativ entfalten konnte wie bei Bernd«, so Uli Edel. Und weiter: »Viele haben das Gegenteil behauptet, weil Bernd ihnen so übermächtig und überwältigend von seiner Energie erschien. Aber ich habe meine kreativste Arbeit mit ihm
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