BE (German Edition)
geleistet, weil ich mich von ihm nicht bedroht, sondern abgesichert gefühlt habe. Er hat Probleme schon im voraus wahrgenommen und sie aus dem Feld geräumt. Wenn wirklich mal was schiefging, hat er mich aufgebaut und gesagt: ›Wir machen das schon, mach dir keine Sorgen.‹ Das erlebt man sonst bei keinem Produzenten. Man hat sich am Anfang verabredet, was das für ein Film wird. Von da an gab es keinen besseren, keinen loyaleren Produzenten.« Dass diese Aussage ausgerechnet von Uli Edel kommt, dem Bernd sein Projekt »Ich und Er« weggenommen hatte, hat seinen Grund.
Uli Edel war geschockt, als Bernd ihm mitteilte, dass er »Ich und Er« mit Doris Dörrie machen würde. Als Uli ihn fragte: »Bernd, wie kannst du so was mit mir machen?!«, hatte Bernd ihm knallhart entgegnet: »Ich bin Produzent und habe jetzt als Produzent gehandelt.« Bernd hatte sich nicht einmal entschuldigt. Aber natürlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Uli war mehr als ein Freund, er war sein Bruder im Geiste. Diese Sache konnte Bernd nicht so stehenlassen. Bei einer Veranstaltung in München, bei der Bernd mit Doris Dörrie herumstand, sah er Uli von weitem. Es war ein Stich ins Herz. Hier stand er, der Verräter, mit der jungen Starregisseurin im Mittelpunkt des Geschehens, und sein ältester Freund stand abgehängt am anderen Ende des Raums. Dies war zu einem Zeitpunkt, als die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bernd und Doris schon extreme Formen angenommen hatten. So sehr er sich auch anstrengte, Bernd brachte es nicht fertig, dass Doris ihm vertraute. Er sehnte sich nach der Harmonie, die er mit Uli erlebt hatte. Er vermisste seinen Freund. Bernd ließ Doris stehen und drängte sich durch die Menschenmenge hinüber zu Uli und meinte: »Du Uli, ich kann nicht mehr schlafen. Ich weiß, was ich dir angetan habe. Ich produziere dir jetzt ›Letzte Ausfahrt Brooklyn‹.«
Bernd und Uli hatten über Hubert Selbys Skandalbuch schon während ihres Studiums an der Filmhochschule geredet. Nachdem der aus verschiedenen Episoden zusammengesetzte Roman 1965 erschienen und in Großbritannien wegen Obszönität verboten worden war, hatte Anthony Burgess (»A Clockwork Orange«) darüber gesagt: »Kein Buch könnte weniger obszön sein … uns wird nichts von den Wirrungen und Leiden von Luden, Tunten und Schwulen erspart, aber der Ton dieses Buchs ist voller Mitgefühl, obwohl er auch manchmal gepeitscht ist von der kinetischen Energie des Zorns.« Es war ein Buch ganz nach Bernds und Ulis Geschmack. Uli hatte es immer verfilmen wollen, und nun wollte Bernd ihm diesen Herzenswunsch erfüllen. Dagegen konnte Uli nichts mehr sagen. Er wusste, dass ihm niemand außer Bernd diesen Film möglich machen würde. Und er vergab seinem Freund.
Mit »Letzte Ausfahrt Brooklyn« gewann Bernd seinen Freund Uli Edel zurück und fand noch einen neuen: Hubert Selby Jr.
In der Woche vor Bernds Tod fuhr ich abends kurz in den »Bristol Farm«-Supermarkt am Sunset Boulevard, um fürs Abendessen einzukaufen. Nachdem ich die Einkaufstüten im Kofferraum des alten Mercedes verstaut hatte und mit diesem riesigen schwarzen Goth-Mobil wieder auf den Sunset Boulevard einbog, drehte ich das Radio an. Es spielte einen meiner Lieblingssongs: »She’s Lost Control« von Joy Division in meiner Lieblingsversion vom Album »Unknown Pleasures«. Ich ließ das Fenster herunter, um die noch warme Luft hineinzulassen, drehte die Musik laut und ließ die gleißenden Neonlichter der vorbeiziehenden Gebäude in mich hineinflimmern.
Am Ende des Songs meinte der Radio-DJ: »Hey, hier ist Henry – wenn ihr diese Version von ›She’s Lost Control‹ auch so gut findet wie ich, schickt mir eine E-Mail!« Als ich nach Hause kam, saß Bernd noch am Esstisch und arbeitete an seinem Natascha-Kampusch-Drehbuch. Es würde noch eine Weile dauern, bis wir zu Abend essen würden. Also setzte ich mich an meinen Computer und schickte diesem DJ Henry eine E-Mail. Es kam eine prompte Antwort, gezeichnet von Henry Rollins. Henry Rollins? Ja, tatsächlich der Henry Rollins. Punk-Rock-Ikone, Schriftsteller, gelegentlicher Schauspieler und politischer Agent Provocateur. Als Antwort schickte ich ihm einen Link zum amerikanischen Trailer von »Der Baader Meinhof Komplex« – das sei ein Film, den mein Mann geschrieben und produziert hätte. Der könnteihm gefallen. Antwort: »Dein Mann ist Bernd Eichinger? Ich habe schon so viel von ihm gehört. Hubert Selby war einer meiner engsten Freunde,
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