BE (German Edition)
todschicken Anzug, an jeder Seite eine Münchner Tralala. Schließlich war er ein Freidenker! Nur weil er Frauenklamotten trug, würde er doch nicht den ganzen Spaß verpassen. Wie man sich denken kann, ging es hoch her in dieser Nacht. So hoch, dass einige der Schauspieler ihre gesamte Gage verprassten und schließlich von irgendwo in München verzweifelt bei Bernd anriefen, weil sie ihren Flieger verpasst hatten. Keine Frage, letzte Ausfahrt München war auch nicht von schlechten Eltern.
Raging Bull
SO etwas wie die Premierenparty zu »Letzte Ausfahrt Brooklyn« hatte Deutschland bis dahin nicht gesehen, und die Frage ist erlaubt, ob es seitdem je wieder so eine Premierenparty gegeben hat. Gefeiert wurde in einem Zirkuszelt auf dem Gelände des Olympiaparks in München. Damit dies nicht im Regen und Matsch versank, hatte Thomas Friedl – der später Vorstand für Verleih und Marketing der Constantin Film AG werden sollte - als Partyorganisator in seinem ersten Job bei der Constantin extra Kieswege streuen und mit Holzbohlen belegen lassen. Die Eintrittskarten waren aufwendig aus Metall gearbeitet, im Zirkuszelt tanzten nackte Mädchen in Käfigen. Insgesamt kostete der Spaß fast eine Million Mark.
Die Premierenparty half Bernd jedoch nicht, die schlechten Kritiken auszublenden, die »Letzte Ausfahrt Brooklyn« in Deutschland kassierte. Das tat weh. Es war ein Schlachtfest, das das deutsche Feuilleton feierte. Ich kann mich erinnern, dass ich damals – ich stand kurz vor dem Abitur – einen Ausschnitt von »Letzte Ausfahrt Brooklyn« im Fernsehen sah. Es war die Szene, in der Tralala vor der berittenen Polizei die Straße entlangstolziert. Ich sah die Bilder und dachte mir: »Wow, diesen Film will ich unbedingt sehen!« Zwar hatte ich von Hubert Selbys Roman damals noch nichts gehört, aber was ich da sah, hatte eine enorme Anziehungskraft auf mich. Dann kam die Stimme des Filmkritikers aus dem Off. Seelenlos und brutal sei dieser Film. Den Zauber von Selbys Buch hätte er weit verfehlt. Nein, diesen Film brauche man sich nicht anzusehen. Da ich damals auf dem Land wohnte und es kompliziert für mich war, ins Kino zu gehen, entschied ich mich also gegen »Letzte Ausfahrt Brooklyn«. Aber die Bilder gingen mir nicht aus dem Kopf. Jahre später stand ich in einem Secondhandbuchladen in Notting Hill, und die Penguin-Ausgabe von »Last Exit to Brooklyn« fiel mir in die Hände. Auf dem Cover war ein Foto von Jennifer Jason Leigh als Tralala. Die Erinnerung an diesen einen Ausschnitt war so stark, dass ich mir das Buch sofort kaufte. Später sah ich dann den Film. Er raubte mir den Atem.
Der Film fiel bei den deutschen Kritikern durch, wurde aber von den US-Kritikern hochgelobt und sogar mit Fritz Lang und Beethoven verglichen.
Die New York Times schrieb am 2. Mai 1990: »Ein Epos der Besitzlosen. (…) ›Letzte Ausfahrt Brooklyn‹ ist beides, grimmig und eloquent. Die Streikszenen gehören zu dem Härtesten, was man jemals im Kino gesehen hat.« Die Los Angeles Times (4. Mai 1990) sah Parallelen zwischen Ulis Film und dem deutschen Expressionismus der zwanziger Jahre. Uli Edel wurde von Steven Spielberg eingeladen, den Film im Rahmen einer Master Class vor Filmstudenten an der UCLA vorzuführen. Als nach der Vorführung des Films wieder das Licht im Saal anging, sagte Spielberg: »Dieser Film hätte alles verkehrt machen können. Und er macht alles richtig.«
1989, das Jahr in dem »Letzte Ausfahrt Brooklyn« in Deutschland anlief, war auch das Jahr, in dem Bernd seinen 40. Geburtstag feierte. Ein Ereignis, das so gar nicht in Bernds Lebensplanung passte. Er hatte nie erwartet, dieses hohe Alter zu erreichen. Vielmehr hatte er damit gerechnet, als junges Genie zu sterben. Frei nach dem Rock-’n’-Roll-Motto: »Live fast, die young and leave a good looking corpse.« Nun, Letzteres ist dann 21 Jahre später auch eingetreten, aber 1989 war seine Zeit noch nicht gekommen. Mit dieser Planänderung galt es umzugehen. Es gab ganz offensichtlich noch ein Leben nach vierzig. Doch wie sollte das aussehen?
Zunächst einmal kaufte er sich eine Wohnung in Schwabing. Nachdem ihn sein ehemaliger Kompagnon Bernd Schäfers aus seiner ehemaligen Mietwohnung geworfen hatte, weil Schäfers die Wohnung verkaufen musste, und Bernd einige Zeit lang in freistehenden Wohnungen anderer gewohnt hatte, war er ins Münchner Hilton Hotel gezogen. Im Hotel hatte es ihm gefallen. Nicht nur, dass es da eine erstklassige Hotelbar gab, in
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