BE (German Edition)
Umkehrschluss. Das Tabu als ordnendes Prinzip der deutschen Gesellschaftsneurose – das Leinwandabbild Hitlers als Totem – war Bernd absolut fremd. Diesem autoritären Diskurs in der Darstellung Hitlers wollte und würde er sich nicht unterwerfen. Er widersprach damit dem Darstellungsverbot, das sich über die Jahrzehnte hinweg aus Theodor W. Adornos apodiktischer Formulierung: »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch« entwickelt hatte und auf die Kunst im Allgemeinen und die »Bewusstseins-Industrie« Kino im Besonderen ausgeweitet worden war. Die Berührungsängste mit dem Aspekt der Manipulation in einem Massenmedium wie Kino hatte Bernd nicht. Im Gegenteil. Kino war für ihn Manipulation. Eine Manipulation, auf die sich das Publikum bewusst einließ, wenn man als Zuschauer das Dunkel des Kinosaals betrat. Dem Zuschauer mangelnde Intelligenz zu unterstellen, um mit dieser emotionalen Manipulation (im Sinne vom Erzeugen von Emotionen) umzugehen, empfand Bernd als vermessen, arrogant und undemokratisch.
Bernd, der ja im Gründungsjahr der Bundesrepublik geboren war, hatte sich jahrzehntelang für das Dritte Reich interessiert. Seine Bibliothek ist angefüllt mit Büchern darüber. Sobald das Thema angesprochen wurde, konnte er einen so mit Fakten und geschichtlichen Zusammenhängen einschließlich detaillierten Schlachtverläufen überhäufen, dass es war, als würde man mit Dustin Hoffman in »Rain Man« über Baseball sprechen.
Was die Aufarbeitung des Dritten Reichs anbelangte, so waren im Jahr 2002 drei Dinge geschehen: Joachim Fests Buch war erschienen, André Heller und Ottmar Schmiderers großartige Dokumentation »Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin« war herausgekommen, in der Traudl Junge über ihre Zeit im sogenannten »Führerbunker« spricht, und gleichzeitig waren auch noch Junges Memoiren erschienen. Letztere hatte Junge zwar schon sehr bald nach dem Krieg aufgezeichnet, doch veröffentlicht wurden sie erst 2002. Bernd betonte immer, er habe »Der Untergang« nur deswegen machen können, weil Junge ihre Erinnerungen so zeitnah niedergeschrieben habe. Erinnerungen, so Bernd, würden sich den jeweiligen Lebensumständen anpassen. Die Erinnerung habe einen eingebauten Weichzeichner und sei ein lügnerischer Dramaturg. Deswegen würden ihn nur direkt nach dem Geschehen abgegebene Augenzeugenberichte interessieren.
Mit Traudl Junges Erinnerungen und Joachim Fests Buch hatte Bernd plötzlich den Schlüssel in der Hand. Jetzt wusste er, wie er den Fanatismus und die Barbarei des Dritten Reichs erzählen konnte. Adolf Hitler per se interessierte ihn nicht, denn – so betonte Bernd oft – Hitler als Persönlichkeit habe nichtssagend auf ihn gewirkt. Ein Monster ohne Eigenschaften sei das gewesen. Das eben, was Hannah Arendt als »die Banalität des Bösen« bezeichnete. Deswegen war Bernd auch nie daran interessiert gewesen, einen Film über den Aufstieg Hitlers zu machen. Hitler zeigt sich in dem Grauen, das er angerichtet hat, oder vielmehr das die Deutschen in seinem Namen angerichtet haben. In seinem Aufstieg kann man davon noch nicht viel erkennen. Wohl aber in seinem Untergang. Warum befolgen Menschen weiterhin die Anweisungen eines Mannes, der offensichtlich den Bezug zur Realität verloren hat? Wie kann eine autoritäre Hierarchie weiterexistieren, obwohl sie Wahnsinn und Unmenschlichkeit propagiert? Wie kann jemand für eine Idee seine eigenen Kinder umbringen?
Das Problem an dem Stoff war, dass er keine Möglichkeit bot, den Holocaust in angemessener Weise zu behandeln. Man konnte ja nicht en passant, quasi in einem Nebensatz, die Todeslager erwähnen. Der Film spielte im Bunker, wie sollte die Kamera da plötzlich zeigen, was in Auschwitz stattgefunden hatte? Auch eine speziell diesem Thema gewidmete Szene, die zwar nicht wie der Rest des Films auf Augenzeugenberichten beruhte, sondern quasi als Alibiszene dazugedichtet worden wäre, wäre falsch gewesen. Das Monströse an den Menschen, die sich im »Führerbunker« aufhalten, ist ja, dass sie entweder nichts vom Holocaust wissen wollen, also wegschauen, oder das systematische Morden von mehr als sechs Millionen Menschen als nicht erwähnenswert erachten. Bernd entschloss sich zu einem radikalen Schritt: Er wollte einen Film darüber machen, was den Holocaust ermöglicht hatte – nämlich Fanatismus und Autoritätsglaube. Welche Schuld man auf sich lädt, wenn man die Augen verschließt, erfährt der Zuschauer am
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