BE (German Edition)
Schluss des Films, wenn die echte Traudl Junge – eine Szene aus »Im toten Winkel« – auftaucht und an sich selbst und ihrer damaligen Ignoranz verzweifelt.
Bernd schrieb das Drehbuch im Herbst 2002 auf seinem kleinen Pferdehof in der Nähe von Starnberg. Es war eine Tour de Force. Vier Wochen. Mehr brauchte er nicht für die erste Fassung. Schließlich hatte er im Inneren schon die letzten zwanzig Jahre an diesem Drehbuch gearbeitet. Alles, was er sich über die Jahrzehnte hinweg angelesen hatte, formte sich nun zu einem narrativen Ganzen und explodierte auf Papier. Den Wahnsinn Hitlers, das Grauen und den Irrwitz dieses Tanzes im Hades vermochte er einzufangen, indem er tagsüber etwa sechs Stunden lang schrieb. Dann wurde zu Abend gegessen und Wein getrunken. Nach einer Flasche Wein sah er sich noch einmal die am Tag geschriebenen Dialoge an und drehte das Volumen der Dialoge hoch. Die Intensität, die Erbarmungslosigkeit und der Irrsinn, den der Film vermittelt, konnten nur deswegen entstehen, weil das Drehbuch genau unter ebenso fanatischen Umständen entstanden war.
Als Bernds Mutter, die im Dunstkreis von Adolf Hitlers Obersalzberg aufgewachsen und als Kind nicht nur Klingelstreiche an der »Führerresidenz« gespielt, sondern auch einmal im Kinderchor für Hitler gesungen hatte, von dem Filmvorhaben ihres Sohns erfuhr, war ihre missbilligende Reaktion: »Also Bernd, also muss das denn sein?« Bernds Antwort: »Ja, Mutti, das muss sein.« Um wieder einmal auf Hamlet zurückzukommen: Aus psychoanalytischer Sicht könnte man argumentieren, dass Hamlet nur deswegen seinen Stiefvater nicht umbringt, weil er ihm die dominante Mutter vom Leib hält. Wie gesagt, Bernd blickte auf Hamlets Starre mit Unverständnis. Sein Modus Operandi war zu handeln. Zwar brachte er keinen Stiefvater um, aber er machte einen Film über das Ende Hitlers. Ödipus hin oder her.
Das Drehbuch zu »Der Untergang« war fertig. Um den Film zu finanzieren, brauchte er deutsches Fernsehgeld. Wegen der politischen Brisanz des historischen Stoffes, lag es auf der Hand, sich an einen öffentlich-rechtlichen Sender zu wenden. Da das ZDF im Gegensatz zur ARD von einem einzelnen Intendanten geleitet wird und die Entscheidungsstrukturen dadurch schlanker sind, fragte Bernd den damaligen ZDF-Intendanten Markus Schächter. Dieser lud ihn zu sich in die Sendezentrale in Mainz ein, wo der Intendant über ein eigenes Speisezimmer mit eigenem Koch verfügt, ähnlich wie in den Chefetagen der großen Banken. Bernd saß also in Schächters Speisezimmer. Alles vom Feinsten, es war ein sehr gepflegtes Mittagessen. Dann ließ Bernd die Katze aus dem Sack und legte Hitler beziehungsweise sein Drehbuch zu »Der Untergang« auf den Tisch. Schächter versprach, sich zu melden und Bernd eine Antwort zu geben, ob das ZDF das Wagnis eingehen und einen Film mit Hitler als Hauptfigur mitfinanzieren würde. Das war das Letzte, was Bernd in dieser Sache von Schächter hörte. Es kam keine Antwort. Auch auf Nachfrage sah Schächter sich nicht veranlasst, Bernds Filmvorhaben zu kommentieren. Welcher junge Filmemacher also denkt, dass nur er ignoriert würde und dass Deutschlands erfolgreichster deutscher Filmproduzent es einfacher gehabt hätte, hat falsch gedacht. Bernd drückte das so aus: »Egal was du vorher geleistet hast, einen neuen Film machen zu wollen bedeutet jedes Mal, dass du das Abitur noch mal von vorne machen musst.«
Da keine Antwort auch eine Antwort ist, wandte sich Bernd an die ARD. Dort ist das System sehr kompliziert, da es sich ja um eine Sendergemeinschaft mit neun Rundfunkanstalten handelt. Ein bürokratisches Labyrinth von teilweise kafkaesken Ausmaßen. Bernd brauchte eine schnelle Antwort, damit er den Film im nächsten Jahr drehen konnte. Wie sollte das nur gehen? Da kam Günter Struve, der damalige Programmdirektor, ins Spiel. Ihm machte Bernd deutlich, dass es zwar schon Anfang Dezember war, aber er bis Weihnachten eine Antwort brauchte. Er sagte Struve auch, dass er beim ZDF ins Leere gelaufen war. Struve tat das Unerhörte und brachte es tatsächlich zustande, Bernd bis Weihnachten eine Antwort zu geben: Die ARD war mit vier Millionen Euro dabei! Die ARD hatte bewiesen, dass sich auch Riesen gelegentlich schnell bewegen können.
Währenddessen war Bernds Filmvorhaben innerhalb der Constantin Film auf ungefähr genauso viel Gegenliebe gestoßen wie bei Bernds Mutter. Jetzt war Bernd also vollkommen durchgeknallt. Einen Film im
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