BE (German Edition)
deren Mitte gehen muss. Olczyk wollte gerade fotografieren, da fühlte er etwas Weiches auf seinem Fuß liegen. Er wollte den Fuß heben, aber was auch immer da auf seinem Fuß lag, war zu schwer. Olczyk schaute nach unten. Es war der Kopf eines schlafenden russischen Soldaten, der sich auf seinem Fuß ausruhte.
Was tatsächlich vorübergehend ein Problem darstellte, waren die Unterschiede in der deutschen und russischen Mentalität. Man brauchte für die Außenaufnahmen des zerbombten Berlins eine Straßenkreuzung. Es war an einem Sonntag, als Bernd, Oliver Hirschbiegel, Christine Rothe, Bernd Lepel und die russischen Produzentinnen eine Straßenkreuzung sahen, die ihnen genau richtig erschien. Die Häuser waren alt, heruntergekommen und teilweise leer stehend. Hier würde man gut Brandsätze legen können. Oliver Hirschbiegel zeigte auf verschiedene Häuser und erklärte gegenüber den russischen Produzentinnen, dass er diese Häuser gerne abreißen lassen würde. Kein Problem, entgegneten die Produzentinnen und schrieben sich alles gewissenhaft auf. Die nächste Drehortbesichtigung fand an einem Wochentag statt. Plötzlich war der Verkehr auf der Straße so stark, dass man nicht einmal auf die andere Seite gehen konnte. Kein Problem, meinten die Produzentinnen. Die Bürgermeisterin von St. Petersburg hatte schon die Drehgenehmigung erteilt! Nein, das eigentliche Problem kristallisierte sich heraus, als Christine Rothe erfuhr, dass allein der Abriss eines Schornsteins an einem anderen Drehort schon 400 000 Euro kosten sollte. Dabei betrug doch das gesamte Budget für Filmbauten nur 600 000 Euro!! Wie konnten die Serviceproduzentinnen denn da ständig nur nicken und sagen »kein Problem«, als Oliver Hirschbiegel seine Abrisswünsche geäußert hatte? Christine Rothe stellte die russische Produktionsleiterin zur Rede. Die Dolmetscherin wurde puterrot. Dann flüsterte sie: »Ein Russe sagt nie ›nein‹. Dazu sind wir zu stolz.« »Und dann sagte sie noch, wir Deutschen würden hier nach St. Petersburg kommen und uns teilweise aufführen, als wären die Russen Menschen zweiter Klasse. Also, ich muss jetzt noch mit den Tränen kämpfen, wenn ich daran zurückdenke. Ich bin dann zu den russischen Produzentinnen gegangen und habe gesagt, ich hätte jetzt verstanden, dass sie nicht ›nein‹ sagen mögen. Aber sie müssten auch verstehen, dass wir auf ihr ›nein‹ angewiesen wären. Das haben sie dann auch verstanden. Von da an hat das funktioniert«, so Christine Rothe.
Beim Dreh an der großen Straßenkreuzung, die man drei Tage lang mit Schutt und Asche verdreckt hatte, damit sie aussah wie Berlin im Zweiten Weltkrieg, zeigte sich dann der Vorteil der russischen Art, nie »nein« sagen zu wollen: Das Set war bereit, das Team befand sich an Ort und Stelle, und alles war fertig – nur der russische Bauleiter fehlte. Als er schließlich auftauchte, sah Christine Rothe sich veranlasst, den Mann zur Rede zu stellen. Wie er denn an einem so wichtigen Tag nicht pünktlich erscheinen könne?! Ja, schuld sei die Produktion, antwortete der Bauleiter. Wie bitte? Was hatte denn die Produktion mit seinem Zuspätkommen zu tun? Erst in diesem Augenblick, als schon die erste Klappe gefallen war, erfuhr Christine, dass es sich bei der Straßenkreuzung um die Hauptverkehrsschlagader von St. Petersburg handelte! Ganz St. Petersburg war aufgrund der Dreharbeiten im Chaos versunken. Nichts ging mehr. Die ganze Stadt stand still. Nur am Drehort, dem Auge des Orkans, herrschte konzentrierte Stille.
Die Gastfreundschaft der Russen ging noch weiter: Als an der Straßenkreuzung bei Nacht gedreht werden sollte und trotz der Bitte der Produktion, die Wohnungen wie damals im Zweiten Weltkrieg abzudunkeln, in einigen Fenstern immer noch Lichter zu sehen waren, legte ein Mitglied der russischen Stadtverwaltung einfach einen Schalter um. Plötzlich lag die gesamte Straße im Dunkeln. Man hatte den Bewohnern einfach den Strom abgedreht.
Nach Abschluss der Dreharbeiten ließ die Bürgermeisterin von St. Petersburg die gesamte Straße evakuieren, abreißen und neu wieder aufbauen. Schließlich konnte man es nicht zulassen, dass die Deutschen in St. Petersburg das zerbombte Berlin drehen konnten und man danach alles beim Alten belassen würde. Was ich an den Dreharbeiten von »Der Untergang« erstaunlich finde, ist die Tatsache, dass ein Film über monströse, größenwahnsinnige Männer im Keller letztendlich von Frauen wie Christine Rothe,
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