BE (German Edition)
besonders nach dieser Begegnung immer noch gerne zu.
Wirklich anstrengend wurden die Dreharbeiten in Stammheim. Bernd hasste es, in Gefängnissen zu drehen, weckten sie doch all seine Ängste vom Eingeschlossensein, die ihn in seinen Träumen verfolgten. Der Gerichtssaal als Ort, wo der Rechtsstaat verzweifelt um sein Bestehen und seine Glaubwürdigkeit gekämpft hatte, war stickig und erdrückend. Unfassbar war das Stück deutsche Geschichte, das ich hinter den Kulissen zu sehen bekam: Die Wand, die vor dem Eingang steht, durch den nur die Richter den Gerichtssaal betreten – die Angeklagten kommen von der gegenüberliegenden Seite –, und die nur durch die Richter und das Gerichtspersonal einsehbar ist, war mit bunter Kreide bemalt. In unterschiedlichen Farben waren die Namen der Angeklagten der einzelnen Prozesse an die Wand geschrieben, also zum Beispiel »Klar + Mohnhaupt«. Darunter stand in derselben Farbe des Namens eine Strichliste mit der Anzahl der Verhandlungstage, ähnlich wie in einer Gefängniszelle die Tage der Inhaftierung aufgelistet werden. Ganz in die Mitte hatte jemand mit grüner Kreide »FUCK RAF« geschrieben. Eine Wand des Zeitgeschehens, die auch dadurch bezeichnend war, dass die Namen der Kreidezeichnungen jüngeren Datums plötzlich arabischen Ursprungs waren. So hatte sich der Terrorismus in Deutschland verändert. Auf jeden Fall war diese Wand Zeuge davon, dass auch Richter die Tage zählen.
Die Dreharbeiten zu »Der Baader Meinhof Komplex« habe ich ausführlich in meinem Buch zum Film beschrieben. Es war so ein großes Unterfangen, dass es tatsächlich ein gesondertes Buch erfordert, um dem gerecht zu werden, was während der Entstehung des Film passierte und welche Leistungen die einzelnen Mitglieder des Teams vollbrachten. Es gab Momente, wie zum Beispiel den Dreh des Vietnam-Kongresses in der Technischen Universität, die so groß und so voller Adrenalin waren, dass die Grenze zwischen Realität und Kino überschritten wurde. Es gab Momente, morgens wenn ich aufwachte und wieder von Erschießungen, Entführungen und Verfolgungsjagden geträumt hatte, in denen das alles unerträglich schien. Es gab Momente, wie die Perückenanprobe für Johanna Wokalek als Gudrun Ensslin, in denen Bernd kurz davor war auszurasten. Es gab Momente, wie zum Beispiel den, als ich am Set in Rom stand und mich ein deutscher Milchbubi von einem Pater ansprach, was denn hier gerade gedreht würde – genau in diesem Augenblick begann Moritz Bleibtreu laut zu brüllen »Ihr Fotzen, ihr verdammten Fotzen!« Der Pater sah mich entsetzt an, und ich antwortete »die neue Bernd Eichinger Produktion«, woraufhin der Pater kopfschüttelnd von dannen zog. Das Team hat zusammengehalten und zusammengearbeitet wie eine große Ersatzfamilie, die nicht zusammengehört, weil sie keine andere Wahl hat, sondern weil alle es so wollen. Es war eine Mondlandung von einem Film, und es war für alle großartig, dabei gewesen zu sein.
Mittendrin
AL s »Der Baader Meinhof Komplex« schließlich fertig war und in die Kinos kommen sollte, war schon im voraus klar, dass es sich hier um hochexplosives Material handelte. Erst zu spät bemerkte Bernd, dass die Zündschnur schon lange brannte. Fast wäre ihm die Ladung in der Hand explodiert.
Bernd hatte schon eine Vorahnung von dem Aufruhr, den der Film auslösen würde, als Volker Schlöndorff anlässlich der Veröffentlichung seiner Autobiographie ein Interview im GQ Magazin gab, in dem er sich negativ sowohl über »Der Untergang« als auch über »Der Baader Meinhof Komplex« äußerte. Nun muss man dazu sagen, dass Bernd Volker Schlöndorff sehr schätzte. Auch dessen Vermutung, Bernd habe zu dem Zwist zwischen Schlöndorff und der Constantin Film beigetragen, der schließlich zur Entlassung Schlöndorffs als Regisseur von »Die Päpstin« führte, stimmt nicht. Im Gegenteil. Bernd hatte immer dafür plädiert, dass Schlöndorff weiterhin Regisseur von »Die Päpstin« bleiben und der Streit beigelegt werden sollte. Umso mehr ärgerte er sich über Schlöndorffs Worte. Vor allem hatte Bernd Sorge, dass sich seine früheren Erfahrungen wie bei »Christiane F.« oder »Das Parfum« wiederholen würden und durch unschöne Vorberichterstattungen eine negative Stimmung gegen den Film aufkommen würde, gegen die er dann ständig zu kämpfe hätte. Diesem wollte er unbedingt vorbeugen. Also schrieb er Schlöndorff einen Brief.
14. August, 2008
Lieber Volker,
ich habe
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