BE (German Edition)
weiteren Mitbewohner, der laut Bernd Radio Peking hörte, nicht weil er Chinesisch verstand, sondern aus »Solidarität«.
Ein regelmäßiger Besucher in Bernds Wohngemeinschaft war der Philosoph Peter Sloterdijk, der damals in München studierte. Das war bevor er zum Bhagwan-Jünger wurde und ein paar Jahre später mit seinem Bestseller »Kritik der zynischen Vernunft« eines der meistverkauften Philosophiebücher des 20. Jahrhunderts schrieb. Sloterdijk hatte Anfang der Siebziger eine Freundin, mit der sich Bernd gerne unterhielt, allerdings ihren Hippiemittelscheitel ebenso wie die Haarspange aus speckigem Leder als ästhetisch absolut indiskutabel empfand. Noch als wir zusammen waren, verzog Bernd ekelerregt das Gesicht, wenn er an die Lederhaarspangen dachte, bei denen man das Haar mit einem durchgeschobenen Holzstab befestigt. Das war für ihn der Gipfel der Geschmacklosigkeit. Deswegen kam es ihm nie in den Sinn, mit Peter Sloterdjiks Freundin die freie Liebe zu praktizieren.
Mehr als dreißig Jahre später waren wir zum Sommerfest des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue in Berlin eingeladen. Wir beschlossen, uns erst einmal in der Hotelbar Mut anzutrinken. Nach mehreren Wodka Martinis erkannten wir, dass wir zu betrunken waren, um beim Bundespräsidenten aufzukreuzen. Wir brauchten unbedingt etwas in den Magen, um den Alkohol aufzusaugen. Also fuhren wir erst einmal ins Borchardt Restaurant in der Französischen Straße. Wir waren gerade durch die Eingangstür des Lokals getreten, als Bernd laut und hocherfreut durchs Lokal rief: »BÄRCHEN!« Bernd hatte Peter Sloterdijk erblickt, der dort saß und sich für das Fest beim Bundespräsidenten stärkte. Deutschlands größter lebender Philosoph war überhaupt nicht erfreut, bei seinem alten Spitznamen genannt zu werden. Besonders weil Bernd es nicht bei dem einen »Bärchen« beließ, sondern ihn immer wieder so nannte. Schließlich hatte man sich seit über dreißig Jahren nicht mehr gesehen. Da war bei Bernd die Wiedersehensfreude groß!
In der Tat, die Freude war so enorm, dass Bernd gar nicht bemerkte, wie das Bärchen bei der Nennung seines Namens leicht gequält das Gesicht verzog. Schließlich siegte jedoch auch bei Sloterdijk die Wiedersehensfreude – im nachhinein gesehen war es vielleicht auch die Neugier –, und er nahm Bernds Einladung an und setzte sich mit seiner Frau zu uns an den Tisch. Bernd hatte gerade »Der Baader Meinhof Komplex« herausgebracht, und gemeinsam kam man auf die Erinnerungen an die siebziger Jahre und das soziale Experiment »Wohngemeinschaft« zu sprechen. Sloterdjik holte tief Luft und setzte zum Vortrag an. Wie großartig das doch damals gewesen sei – dieses Leben ohne bürgerliche Gefühle wie Besitzanspruch und Eifersucht. Wie viel weiter man doch gewesen sei als die Jugend heutzutage, die offensichtlich das Biedermeier wieder aufleben lassen wollte. Wie frei man früher gewesen sei – emotional und menschlich gesehen –, wie fortschrittlich! Man habe die Revolution gewagt. Und auch wenn es politisch nicht funktioniert habe, so sei man doch in Sachen menschliche Beziehungen ganz weit vorne gewesen. Nach diesem »lang lebe die 68er-Bewegung«-Vortrag, zu dem Bernd lächelnd mit dem Kopf nickte und dabei seine heiße Wange an seinem Weißweinglas kühlte, wandte sich das Bärchen an Bernd und nahm ihn konspirativ zur Seite. Dann kam sie, die Frage, für die der Vortrag ganz offensichtlich nur das Präludium gewesen war: »Sag mal, damals … hast du da eigentlich mit meiner Freundin geschlafen?«
Bernd und Uli Edel sahen sich oft am Tag zwei bis drei Filme an. Zwischendurch aß man Cevapcici beim billigen Jugoslawen-Imbiss nebenan oder saures Lüngerl für fünfzig Pfennig in der Kaufhauskantine. Und wenn Bernd und Uli keine Filme ansahen, dann besuchten sie sich gegenseitig in ihren Studentenbuden und redeten über – was sonst? – Film. Die Lebensumstände waren eher reduziert, und Bernd erinnerte Uli gerne daran, dass der damals die Konservendosen direkt auf den Gaskocher stellte, ohne sie in einen Topf umzufüllen, und dass man dann direkt aus der Dose aß. Etwas, was Bernd immer an Uli bewunderte, war sein handwerkliches Geschick. Ein Talent, das Bernd vollkommen fehlte. Das einzige Mal in seinem Leben, als Bernd einen Schraubenzieher in die Hand nahm und versuchte, eine Glühbirnenhalterung anzubringen, bekam er so einen starken Stromschlag, dass er bewusstlos zu Boden fiel. Als er wieder aufwachte,
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