BE (German Edition)
Syberberg sich für seinen »Karl May«-Film so vorstellte. Dieser erfahrene und verdiente Herr hatte dann gesagt: »Nein. Das geht auf gar keinen Fall.« Damit war das Projekt für das ZDF gestorben, denn sie verließen sich auf das Urteil dieses erfahrenen Produktionsleiters. Syberberg hatte für die Vorbereitung des Films schon auf das Haus, in dem seine Familie wohnte, einen Kredit aufgenommen. Falls der Film nicht gedreht würde, würde er alles verlieren und bis an sein Lebensende verschuldet sein.
»Das war schon eine heikle Situation. Also, da durfte nichts schiefgehen«, erinnert sich Syberberg. Er hatte von diesem jungen Produktionsleiter Bernd Eichinger gehört, der ihm versicherte, dass man den Film mit dem vorhandenen Geld drehen konnte. Syberberg vertraute ihm. Die Dreharbeiten zu »Karl May« waren für alle Beteiligten ein Ritt auf der Rasierklinge. Bernd schaffte es, das in ihn gesetzte Vertrauen zu bestätigen und zog den Film für etwa eine Million Mark durch – genau so, wie Syberberg es sich vorgestellt und wie es der erfahrene ZDF-Produktionsleiter für nicht möglich gehalten hatte. Am Ende hatte Syberberg seinen Film und Bernd nicht nur an Erfahrung und Selbstbewusstsein gewonnen, er hatte auch eine wichtige Lektion für seine zukünftige Karriere als Produzent gelernt: Wenn man den richtigen Leuten vertraut und ihnen Verantwortung gibt, strengen sie sich an, das in sie gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen.
Auch sonst war Syberberg ein wichtiger Filmemacher für Bernd. Von ihm lernte Bernd auch bleibende Lektionen über Filmvermarktung, vor allem bei Syberbergs nächstem Projekt »Hitler, ein Film aus Deutschland«. »Man muss sich vorstellen: Syberberg dreht einen sieben Stunden langen Film, den niemand sehen will. Und er schafft es, Titelseiten draus zu machen! Syberberg hat Konflikte künstlich erzeugt!«, grinste Bernd in einem TV-Interview mit Wieland Backes von 1986. Achtzehn Jahre nach diesem Interview sollte Bernd seinen eigenen Film über Hitler drehen und damit für Aufruhr sorgen.
Wie schon »Karl May« war auch »Hitler, ein Film aus Deutschland« von Anfang an eine Zitterpartie. Wieder war die Finanzierung eine abenteuerliche Angelegenheit. Der Film war eine deutsch-französisch-britische Co-Produktion verschiedener Sender.
Und während bei den deutschen und französischen Sendern alles glatt lief, machte die britische BBC Probleme. Bei der BBC war ein aus Schweden stammender Jude namens Ruckheimer für den Film zuständig. Dieser interessierte sich zwar sehr für die Thematik des Films, doch bestand er aus für Syberberg heute immer noch unverständlichen Gründen darauf, dass der Film nicht länger als fünf Stunden sein durfte. Dass Mr. Ruckheimer sich überhaupt auf fünf Stunden einließ, war schon kulant. Doch Syberberg schwebte zum Thema Hitler wenn schon kein Monumentalwerk, dann doch wenigstens ein monumental langes Werk vor. Sich auf fünf Stunden zu beschränken, empfand der Regisseur als eine absolut inakzeptable Beschneidung seines künstlerischen Ausdrucks. Syberberg plante seinen ganz persönlichen siebeneinhalb Stunden langen Exkurs zu Hitler im Speziellen und Deutschland im Allgemeinen. Dass die BBC das nicht verstand, ließ ihn zunehmend sturer werden. Ein reger Briefverkehr entwickelte sich zwischen Syberberg und der BBC. Wieder schwebte das Damoklesschwert in der Luft, dass Syberberg erneut sein Eigenheim versteigern müsste, wenn keine Einigung erzielt werden konnte. Auch eine Reise nach London, bei der Bernd dabei war und sprachlos zuhörte, wie Syberberg auf seinem Standpunkt beharrte, brachte keine Einigung. Schließlich musste sich Syberberg beugen. Für den englischsprachigen Raum wurde eine fünfstündige Version geschnitten. Nur so konnte Syberberg sein Haus retten, in dem Bernd und ich dann fast vierzig Jahre später mit ihm seinen 75. Geburtstag feierten. Zur Premiere des Films am 5. November 1977 in London wurde jedoch die siebenstündige Fassung gezeigt – der Director’s Cut. Und dann geschah das Erstaunliche: Bei allen darauffolgenden Aufführungen des Films bestanden die Kinos darauf, die lange Fassung zu zeigen. Wenn schon, denn schon! Syberberg ist heute noch euphorisiert von seinem Sieg. Während einer Vorführung des Films im Rahmen des Telluride Filmfestivals wurde die Kritikerin Susan Sontag auf den Film aufmerksam und feierte ihn als »gespenstischen Film, heimgesucht von (Syberberg’s) großartigen kinematischen Vorbildern
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