BE (German Edition)
komplett den Shaw-Brüdern auszuliefern, war ihm unheimlich. Zweifel nagten an ihm: Wie sollte er sein persönliches finanzielles Risiko stemmen? Was wenn er sich nicht auf seine Produktionspartner verlassen konnte? Sollte er tatsächlich seine gesamte finanzielle und soziale Zukunft in die Hände von Leuten legen, deren Sprache und Schrift er nicht verstand und deren Kultur er nicht kannte? Bernd hatte das Gefühl, dass ihm das Ganze über den Kopf wuchs. Er hatte einfach zu wenig Produktionserfahrung für ein so umfangreiches und aufwendiges Projekt. Vielleicht sollte er doch erst einmal kleiner anfangen. Und dann geschah, was man eigentlich nicht von jemandem erwartet, der als Senkrechtstarter gilt und eine in der deutschen Filmindustrie einzigartige Karriere hinlegen sollte … Bernd gab auf.
Doch so ganz hat er »Die Nibelungen« nie wirklich aufgegeben. Seine Bibliothek ist gefüllt mit Büchern über nordische Sagen, die germanische Götterwelt und mit unterschiedlichsten Ausführungen der »Edda«. In seinem Büro in Los Angeles fanden wir nach seinem Tod eine kostbare Ausgabe des Nibelungenlieds, die er in den neunziger Jahren in einem Antiquariat in Hollywood erworben hatte. Nachdem Bernd »Der Baader Meinhof Komplex« 2008 abgeschlossen hatte, begann er, wieder intensiv über die Geschichte von Krimhilds Rache nachzudenken. Als der jetzige Vorstandsvorsitzende der Constantin Film, Bernhard Burgener, am 7. Januar 2009 sein Amt antrat, lag auf seinem neuen Schreibtisch nicht nur ein handschriftlicher Brief, in dem ihm Bernd »Gut Licht, gut Ton und volle Kassen« wünschte (denn was will ein Filmemacher mehr?), sondern auch ein Abriss über eine neue Aufbereitung der Geschichte von Krimhilds Rache. Bernds neuer Entwurf unterschied sich grundsätzlich von »Der Morgen von Walhalla«, doch die mythologische Grundhandlung von der Frau, die um jeden Preis die Ermordung ihres Ehemanns rächen will, blieb die gleiche. Obwohl Bernd Bernhard Burgener warnte, dass die Verfilmung dieser Geschichte extrem teuer und aufwendig werden würde, gab Burgener das Drehbuch bei Bernd in Auftrag. »Zorn«, so der neue Name dieses Projekts, ist Bernds letztes vollendetes Drehbuch. Er hat es am 12. August 2010 in seinem Landhaus in der Nähe von München fertiggestellt. Mit »Zorn« vollendete Bernd seine Trilogie zum Thema deutscher Fanatismus und die fatale Logik der Gewalt, die er mit »Der Untergang« und »Der Baader Meinhof Komplex« begonnen hatte. Kurz vor seinem Tod habe ich mit Bernd noch eine Liste möglicher Regisseure und Hauptdarsteller für »Zorn« zusammengestellt. Bernd hatte begonnen, die Fühler auszustrecken und das Drehbuch an Filmemacher zu schicken. Es wäre sein größter und sein kontroversester Film geworden. Oder wie Tom Tykwer, dem Bernd das Drehbuch als einer der Ersten geschickt hatte, nach Bernds Tod zu mir meinte: »Da hatte er sich ein Fettnäpfchen von der Größe eines olympischen Swimmingpools ausgesucht und ist kopfüber reingesprungen! Wenn er den Film gemacht hätte, dann hätten die Kritiker ihn diesmal endgültig mit Haut und Haaren aufgefressen … wie am Ende von ›Das Parfum.‹« Oder wie Bernds anderer guter Freund, Andrew Birkin, es ausdrückte: »Durch und durch ein echter Bernie!«
Zurück in die Siebziger. Bernds Traum vom Nibelungenepos war zerplatzt. Stattdessen entschloss er sich, erst einmal kleinere Brötchen zu backen und sich auf das zu konzentrieren, was er konnte: organisieren und Produktionen durchziehen. Gemeinsam mit dem erfahrenen Produktionsleiter Peter Genée, der sich als Pfennigfuchser einen Ruf gemacht hatte, gründete Bernd Anfang der siebziger Jahre die Produktionsfirma Solaris Film, benannt in gewisser Weise nach dem russischen Sci-Fi-Film »Solaris« von Andrei Tarkowski, aber hauptsächlich weil Bernd das Wort gefiel. Das Geschäftsmodell sah vor, Produktionen für die Autoren des Neuen Deutschen Films durchzuführen, die ihre Filme meistens mit Hilfe von Fernsehgeldern finanzierten und über den Filmverlag der Autoren verliehen. Der Filmverlag der Autoren funktionierte nach dem Motto »Der Filmverlag der Autoren gehört den Autoren des Verlags« und war vom Pioniergeist geprägt. Junge deutsche Filmemacher wollten ihre eigenen Geschichten jenseits von Opas Nachkriegskino und importierten Filmen aus Hollywood erzählen. Bernd war der Überzeugung, dass Autoren zu viel kreative Energie in die Durchführung einer Filmproduktion verschwendeten und bot seinen
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