Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
ich bloß verschwommen wahr - die schönen Straßen von Paris, von denen ich so lange geträumt habe! Liegt es an meiner Nervosität oder ist Mme. Cuchon wirklich eine miserable Autofahrerin?
Mme. Cuchon redet fast so schnell, wie sie fährt.
»Ob ich Kinder habe - Sie meinen, neben den Hunderten von Amerikanern, die mein Programm im Lycee durchlaufen?«, schmunzelt sie. »Nein, die ganzen Dummheiten der etudiants haben mich schon lange davon abgebracht.«
Wie Mme. Cuchon es fertigbringt, unsere vielen Fragen so gekonnt zu beantworten, während sie gleichzeitig einen Fünfzehn-Personen-Bus im Zickzack durch den Pariser Verkehr steuert, werde ich wohl nie begreifen. Sie hat eine so durchdringende Stimme wie ein Nebelhorn und anscheinend hinten Augen im Kopf, versteckt unter dem strengen Nackenknoten ihrer feuerroten Haare.
Der Lycee-Bus, der ruckelnd vom Charles-de-Gaulle-Flug- hafen über die Schnellstraße braust, ist bis obenhin voll mit Schülern, die gerade frisch aus den USA gelandet sind. Jedes Mal, wenn wir um eine Kurve biegen, hebt sich mein Magen.
Klebrig von Schweiß und der fettigen, abgestandenen Luft im Flugzeug, bin ich eingeklemmt zwischen einem langbeinigen Mädchen aus South Carolina namens Sara-Louise und Mary, die aus L.A. kommt. Mary ist fast so klein und schmal wie ich, sodass wir einen Gurt zusammen benutzen.
Als Mary sich vorbeugt, um Mme. Cuchon besser verstehen zu können, macht Sara-Louise große Augen: Mary hat nämlich eine Anker-Tätowierung im Nacken, knapp über dem Halsausschnitt ihres engen schwarzen T-Shirts. Ich versuche, meinen Ekel nicht zu zeigen - der Gedanke an eine
Nadel, die meinen Körper für immer mit Farbe verunstaltet, ist einfach viel zu widerwärtig, um auch nur dran zu denken - selbst wenn das Motiv ziemlich toll ist. Sara-Louise sieht in ihrem rosafarbenen Sommerkleidchen und mit den Shirley- Temple-Locken einerseits schockiert, andererseits aber auch total fasziniert aus.
»Hey, der Hammer«, ruft ein Typ namens Zack laut, als er in der Ferne den Eiffelturm entdeckt. Zack hat die ungekämmten Strubbelhaare und das hippe Outfit eines schuhfixierten Emo-Rockers, aber sein schleppender südlicher Dialekt verrät seine Memphis-Wurzeln, noch ehe er uns sagen kann, woher er stammt. Zack ist schon jetzt ganz dicke mit Alex, die aus New York kommt. Bis auf Alex - der das wohl zu blöd ist - beugen sich alle vor, um einen Blick auf La Tour Eiffel werfen zu können, ehe der Turm wieder hinter der Skyline verschwindet. PJ, die vorne sitzt, bleibt bei dem Anblick der Mund offen stehen.
»Wow«, haucht sie.
Der Anblick ist wirklich ziemlich spektakulär.
Alex blickt kurz von ihrem BlackBerry hoch, auf dem sie gerade eine SMS schreibt, und grinst mich an. Als ihr Blick dann aber auf PJ fallt, sieht sie plötzlich angewidert aus.
Überhaupt verdrehen Alex und Zack dauernd wegen PJ die Augen. Ich kann schon verstehen, warum sich Alex vielleicht von ihr bedroht fühlt: PJ könnte glatt als Doppelgängerin von Heidi Klum durchgehen. Aber es wäre dumm von Alex so zu denken - sie ist nämlich selbst extrem hübsch. Mit ihrer cremefarbenen Haut und den mandelförmigen Augen mit den schweren Lidern, ihren locker fallenden, stufig geschnittenen schwarzen Haaren und dem großen Busen zieht Alex den Neid aller Mädchen in diesem Bus auf sich und wird mit Sicherheit auch den Neid aller anderen in unserem Programm, die wir noch nicht kennen, auf sich ziehen. Sie hat sich auch super angezogen. Das figurbetonte Oberteil bringt ihr schönes Dekollete und ihre schmale Taille ziemlich gut zur Geltung. Auf ihrem Schoß liegt eine riesige lederne Tragetasche, die sie so liebevoll hält wie ein neugeborenes Baby. Sie trägt eine Gucci-Sonnenbrille, die wahrscheinlich mehr gekostet hat als mein gesamtes Outfit von American Eagle. Ich war ja so glücklich, dass ich einen tollen Eindruck machen werde, als meine Mutter mir die Carpenter-Shorts aus Jeansstoff und das weiße geraffte ärmellose Top gekauft hat, aber jetzt falle ich hier damit überhaupt nicht auf. Ich bin ungeschminkt und habe mir wie immer einen einfachen Pferdeschwanz gemacht, damit mir die Haare nicht in die Augen fallen.
Vorhin, bei der Gepäckrückgabe im Charles-de-Gaulle- Flughafen, als wir auf unsere Koffer gewartet haben, hat uns Alex erzählt, dass sie schon ganz oft in Paris war. Ihr Vater ist ein französischer Vietnamese und ihre Mutter hat hier nach dem College mehrere Jahre gelebt. Weil ihre Mutter für eine
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