Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
Sprachniveau erforderlich war!
Nicht falsch verstehen. Für diesen Jungen würde ich durchs Feuer gehen. Er ist mein ältester Freund und der Mensch, der mich nie enttäuscht oder im Stich gelassen hat. Aber es versteht sich von selbst, dass, wenn Pierson oder ich mal einen Schritt ohne den anderen machen, ich derjenige sein müsste, der vorangeht.
Zum dritten Mal lese ich Piersons Mail, ganz grün vor Neid, und logge mich dann schließlich genervt aus meinem G-Mail-Account aus. Als ich zu Alex rüberstampfe, die in der Ecke des Computerlabors auf der staubigen alten Couch fläzt, blickt sie vom Nägelfeilen hoch.
»Was ist?«, fragt Alex und springt auf. »Hast du eine Briefbombe bekommen?«, keucht sie erschrocken.
Eine Briefbombe wird von den Schülern des amerikanischen Programms eine E-Mail mit schlechten Neuigkeiten genannt, die umso schlimmer ist, da man ja eine Million Meilen von zu Hause entfernt ist. In einer Briefbombe hat Katie aus Cleveland erfahren, dass ihre Katze von einem Auto überfahren wurde und gestorben ist. In einer Briefbombe hat Drews Mom ihm mitgeteilt, dass sie seine Glasbong ganz hinten im Schrank gefunden und in Scherben zerschlagen hat, ehe sie sie weggeworfen hat. Andere Schüler sind von ihren festen Freunden oder Freundinnen verlassen worden, haben gehört, dass ihre Großeltern Krebs haben, oder haben sich ganz allgemein die Laune verdorben, indem sie ganz naiv ihre E-Mails gecheckt haben. Alex hat totale Panik davor, auch einmal so eine Briefbombe zu bekommen. In ihren Augen ist der einzige Nachteil, in Paris zu leben, der, dass es die Chance erhöht, aus heiterem Himmel und völlig unvorbereitet von schlechten Nachrichten aus der Heimat getroffen zu werden (statt eben alles auf ganz natürliche Weise mitzubekommen). Und wenn es etwas gibt, was ich über Alex gelernt habe, dann dass sie lieber sterben würde, als Dinge als Letzte zu erfahren.
»Nein«, seufze ich. »Keine Briefbombe. Jedenfalls nicht wirklich. Nur Pierson ... und sein neuer holländischer Freund Hannes.« Ich spreche den hässlichen Namen superhart aus, während ich mir vorstelle, wie Pierson ihn mit seinem gewollt holländischen Akzent artikuliert.
»Ach, Süßer«, sagt Alex und umarmt mich. »Klingt so, als sollten wir ein bisschen in die Galeries Lafayette gehen, um uns aufzuheitern.« Unlustig zucke ich mit den Schultern. »Ach komm schon.« Alex dreht meinen Arm und neigt kokett den Kopf. »Ich lade dich auch auf eine Latte oder eine heiße Schokolade im Maxim's ein.« Das Maxim's ist für Alex in der Galeries Lafayette ein Muss für Getränke aller Art.
Widerwillig lasse ich mich drauf ein, auch wenn ich weiß, dass es im berühmtesten Kaufhaus von Paris wieder total voll sein und es lange Schlangen vor den Kassen geben wird. Aber Zucker und viel Sahne sind im Augenblick vielleicht wirklich das Einzige, was mir guttut.
Auf dem Weg redet Alex nervös fast ohne Punkt und Komma über George. Das lenkt mich allerdings nur wenig ab, auch wenn es mein Ego ein bisschen aufbaut, dass, wenn nicht mal die fabelhafte Alex Nguyen sich nach zwei Monaten in Paris einen Freund angeln konnte, das dann wohl auch keiner von mir erwarten kann.
»Ich meine, gestern Morgen hat er den Rest von seinem chocolat au pain Patty angeboten!«, stöhnt Alex, »Und ich stand direkt daneben! Und an La Cinemateque Franchise darf ich gar nicht denken ...«
Letzte Woche ist Mme. Cuchon mit uns an einem Nachmittag ins berühmte französische Filmzentrum gegangen, um eine Vorführung des alten Films Außer Atem von Jean- Luc Godard anzusehen. Das war einer der seltenen außerschulischen Ausflüge, den Alex und ich mehr als die anderen genossen haben. Im Gegensatz zur Notre Dame, die überfüllt war und voller wichtigtuerischer Deppen, die sofort »Pssst!« machten, wenn man auch nur einen Mucks von sich gegeben hat, oder beim Tour Eiffel, wo Madame uns gezwungen hat, bis ganz nach oben zu laufen und ich Alex in ihren Stöckelschuhen praktisch tragen musste. Nein, Außer Atem zu sehen im kühlen, nüchternen Kinosaal im imposanten neuen Gebäude von La Cinematheque Frangaise, erbaut von Frank Gehry, war eine willkommene Abwechslung und endlich mal anspruchsvoll. Alex und ich saßen ziemlich aufgekratzt in der ersten Reihe. George setzte sich ganz nach hinten, um besser pennen zu können. Alex war füchsteufelswild, jedenfalls so lange, bis sie von Jean Seberg abgelenkt wurde und es vorübergehend vergaß.
Ich denke kurz nach.
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