Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
der glatten, olivfarbenen Haut spiegelt sich Nachdenklichkeit und Unruhe. An der Art, wie er dauernd seine Baseball-Kappe auf- und absetzt und sich durch die kurz geschnittenen Haare fährt, ist leicht zu erkennen, dass ihm die Untätigkeit zu schaffen macht. Als Olivias Familie noch da war, konnte er seine Rastlosigkeit verbergen, aber jetzt, da wir nicht mehr die glücklichen Teenies im Auslandsjahr spielen müssen, wird er nicht ruhen, bis wir sie gefunden haben.
»Okay«, sage ich. Ich weiß, wie er sich fühlt. Vor vierundzwanzig Stunden war ich selbst noch bis über beide Ohren verliebt. Die Liebe bringt einen dazu, die verrücktesten Dinge zu tun.
Ich schaudere bei der Erinnerung daran, wie ich im Hotel Le Maurice ein dickes Geldbündel als Barzahlung für eine Suite rübergeschoben habe, um eine Liebesnacht mit George zu verbringen, bevor er über die Weihnachtstage nach Boston flog. Besser gesagt: um zu versuchen, eine Liebesnacht mit ihm zu verbringen.
»Warum gehen wir nicht zur Polizei? Oder jemand könnte Mme Cuchon anrufen. Schließlich haben wir ihre Telefonnummer.«
Zack, Olivia und ich schauen Jay erwartungsvoll an.
»Sie hat recht, Jay«, meint Olivia. »Wenn sie Probleme hat, brauchen wir Hilfe.«
Jay schüttelt den Kopf. »Keine Erwachsenen. Keine Polizei. Keine Mme Cuchon. Das hier ist was Persönliches. Lasst uns noch ein paar Tage warten, ehe wir jemand anders einweihen, ja?«
Widerstrebend nicken Olivia und Zack. Ich zucke mit den Schultern. Ich bin sowieso nicht scharf darauf, mit Mme Cuchon ein kompliziertes Gespräch, egal über was, zu führen. Wenn Jay nicht Alarm schlagen will - umso besser für uns alle.
Ich habe ja den Verdacht, PJ möchte, dass wir uns auf die Suche nach ihr machen. Wenn sie wirklich ihre Ruhe haben wollte, hätte sie Jay nicht diese Postkarte hingelegt. Sie hätte uns im Glauben gelassen, dass sie wie geplant in der Dordogne ist, genüsslich einen traditionell zubereiteten Fasanenbraten verspeist und so tut, als wäre der französische Adel wirklich so charmant, wie er sich gerne gibt.
Ich stelle mir das Château wie eine verrucht-luxuriöse Designer-Unterkunft aus der Vogue Living vor - mitsamt den ganzen durchgeknallten Verwandten, peinlichen Affären und zwielichtigen Geschäften hinter den Kulissen. Also, ich würde ja dort hinpassen, aber PJ ist nicht ich, und ich bin nicht PJ - bei Weitem nicht.
»Versuch dich an alle Gespräche mit ihr zu erinnern. Wo, glaubst du, könnte sie stecken?«, frage ich Jay.
Jay runzelt die Stirn. »Irgendwo ... irgendwo, wo es schön ist.«
Ich hätte ja laut über Jays ernste Miene gelacht, wenn die liebenswerte Besorgnis auf seinem Gesicht nicht so rührend gewesen wäre.
Wir seufzen alle.
»Hey«, sagt Zack nachdenklich. »Wer war noch mal der Künstler, mit dem ihr, also du und PJ, euch beim Louvre- Projekt beschäftigt habt?« Zack hat sich über einen großen Weltatlas gebeugt, den er aus einem der vielen Bücherregale neben dem Kamin gezogen hat, und studiert eine Frankreichkarte.
»Ingres!« Jay schnippt mit den Fingern, hält wieder die Postkarte hoch und fuchtelt damit vor Zacks Gesicht herum. »Dieser Typ hier!«
»Schon gut.« Zack verdreht die Augen. »Verklag mich doch, weil ich deine Präsentation nicht mehr parat habe.« Zacks bitterer Ton überrascht mich. Normalerweise reißt er sich wie ein Schulmädchen das Bein aus, um Jay zu gefallen. »Aber an einen Punkt aus eurem Referat erinnere ich mich noch gut: PJ sagte damals, dass Ingres aus einer Kleinstadt in den Pyrenäen stammte. War das nicht hier?« Er zeigt auf eine Stadt direkt nördlich von Toulouse namens Montauban.
»Montauban! Mein Dad besitzt in Montauban eine Immobilie! Er hat da gerade ein Rugby-Team gekauft!«, rufe ich aus. Na ja, glaube ich jedenfalls. Das letzte Mal, als ich mit meinem Dad gesprochen habe, hatte er einer örtlichen Mannschaft einen Riesenbatzen Geld angeboten. Er hat die ganze Zeit von diesem Sport geschwärmt, den er früher mal im Internat selbst gespielt hatte. Die meiste Zeit während des kurzen Gesprächs an meinem letzten Geburtstag hat er groß getönt, wie sehr er immer seine Geschäftspartner beeindrucken kann, indem er sie zu Spielen mitnimmt. Deswegen erinnere ich mich auch noch an den Namen, ich habe ihn nämlich nach dem Telefonat sofort gegoogelt. Es war schon seltsam: Einerseits konnte ich es kaum erwarten, das Telefonat endlich zu beenden, andererseits verbrachte ich anschließend Stunden am Laptop
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