Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
damit, Einzelheiten seInès Lebens zu recherchieren. Natürlich gab es auf den Immobilienseiten des Paris Match eine kleine, aber feine Notiz, dass mein Dad eine große Summe für ein Penthouse in Montauban hingeblättert hatte. Anscheinend liegt das Apartment in einem renovierten mittelalterlichen Kloster.
»Echt? Dein Dad hat da eine Immobilie?«, fragt Jay strahlend und setzt sich kurzerhand neben mich auf die Armlehne der Couch. Er deutet auf die Karte am Boden. »Guckt mal: Montauban liegt ganz nah bei Perigueux, wo die Marquets ihr Landhaus haben. PJ ist total gern draußen in der Natur. Mann, ich wette, das ist es! Vielleicht ist sie einfach in den nächsten Zug gesprungen, um ein bisschen Zeit in Ingres' Heimatort zu verbringen und wieder zu sich zu kommen. Das Halbjahr war ziemlich heftig für sie. Alex, du bist ein Genie!«
Ich strahle zurück. »Danke schön!« Ich bin auf mich selbst ganz stolz. Dabei habe ich eigentlich gar nichts getan, außer dass ich einen lächerlich reichen Dad habe, den ich nie zu Gesicht bekomme. Aber wenn mir jemand nun mal unbedingt sagen will, dass ich ein Genie bin - bitte! Ich werde ihn nicht daran hindern.
Olivia zieht ihren weißen Laptop aus ihrem hellblauen Rucksack und recherchiert schnell im Internet. »Hey, wir sind da vielleicht wirklich auf der richtigen Spur. In Montauban gibt es nämlich ein Museum, das Ingres gewidmet ist, und schaut mal her!« Sie dreht den Bildschirm so zu uns, dass wir alle das Foto, das sie von Montauban gefunden hat, sehen können. Es zeigt eine nächtlich erleuchtete mittelalterliche Brücke, die über einen glitzernden Fluss führt. An das Foto erinnere ich mich von meinen eigenen Google-Recherchen im vergangenen Jahr. »Das sieht doch total schön aus.«
Ich seufze bestätigend, auch wenn der Gedanke, dass mein Dad dort manchmal wohnt und ich über sein Leben überhaupt nichts weiß, mir Bauchweh bereitet.
Zack sieht Jay bewundernd an, so als wäre er unser Anführer. »Wir fahren also nach Montauban? Und wie sollen wir dort hinkommen?« Die Zeitungen heute Morgen waren voll mit Schlagzeilen über den Zugstreik in Frankreich. Alle Intercity-Verbindungen sind gestrichen. Die Regional- und Nahverkehrszüge fahren zwar noch, aber mit denen kommt man ja naturgemäß nicht weit.
»Wir müssen uns irgendwoher ein Auto besorgen«, sage ich und mir schwebt dabei etwas Schnittiges und Luxuriöses mit Sitzheizung und einer guten Stereoanlage vor. »Können wir uns nicht eins mieten?«
»Ich glaube nicht, dass wir dazu alt genug sind«, sagt Olivia.
»Doch, sind wir«, entgegnet Zack und klappt den Atlas zu. »Das kostet uns nur eine hübsche Stange Geld.«
Jay zieht ein dickes Bündel mit Euroscheinen aus seiner Hosentasche und wirft es auf den Couchtisch vor uns. »Meint ihr, das reicht?«
»Nein, Jay!« Zack ist aufgesprungen. »Bist du völlig übergeschnappt? Das kannst du doch nicht machen! Das ist dein Stipendien-Geld!«
»Wie kommt es eigentlich, dass du mit deinem ganzen Stipendien-Geld in der Tasche rumläufst?«, frage ich. Angesichts der blauen, grünen, rosa- und orangefarbenen Scheine muss ich wieder daran denken, wie viel ich letzte Nacht im Hotel Le Maurice ausgegeben habe - selbst wenn ich es versuchen würde, bekäme ich es nicht zurück.
»Das ist nicht mein gesamtes Stipendien-Geld«, entgegnet Jay. »Die Schulgebühr und das Wohngeld gehen direkt ans Lycée. Das ist nur das Geld für die zusätzlichen Ausgaben, also quasi mein Taschengeld. Das Lycée zahlt mir immer gleich zu Beginn die gesamte Summe für das Schulhalbjahr aus.«
In meiner Tasche steckt ein Brief aus dem Lycée. Den trage ich schon die ganze Zeit mit mir herum, damit meine neugierige Gastmutter Marithe ihn nicht findet, wenn sie mal wieder in meinem Zimmer herumschnüffelt, um zu prüfen, ob ich darin gegen ihren Willen rauche. Mit dem Ergebnis des Final Comp will ich mich im Moment noch nicht konfrontieren.
»Jay, das ist doch total verrückt«, sagt Zack kopfschüttelnd und unnachgiebig, die Arme über seinem eng anliegenden grau-rot gestreiften Pulli verschränkt. Wenn er gefrustet ist, zittern immer seine Lippen, so wie jetzt. Hilfe suchend sieht er zu Olivia hinüber.
»Zack hat recht, Jay«, sagt sie ruhig. »Wovon willst du leben, wenn du das ganze Geld für die Automiete und die Fahrt nach Montauban ausgibst? Es ist ja nicht nur das Auto. Wir müssen da unten auch essen und irgendwo unterkommen ... und dabei wissen wir nicht mal sicher, ob
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