Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
auch mit lauter anderen Mädchen, und als ich an der Universität dann M. Rouille kennengelernt habe, war ich glücklich, mit jemandem zusammen zu sein, der loyal und mir zugewandt war, und ich habe mich geweigert, weiter mit M. Marquet auszugehen. Aber wir hatten noch Kontakt; wir verkehrten in denselben gesellschaftlichen Kreisen.«
Das ist das erste Mal, dass ich Mme Rouille - oder auch Thomas - über M. Rouille sprechen höre, Thomas' Vater. Ich starre auf die lange Autoschlange vor uns, wir kommen nur im Schneckentempo voran. Ich warte darauf, dass sie weiterredet.
»M. Marquet hatte es sich eine Zeit lang in den Kopf gesetzt, Arzt zu werden, und so hat seine Familie es arrangiert, dass er an der Sorbonne einen Studienplatz bekam. M. Rouille studierte dort damals bereits Medizin, und die beiden Männer freundeten sich an. M. Marquet war sehr arrogant und M. Rouille sehr konservativ. Ich glaube, eine ganze Weile lang haben sie sich gut ergänzt.« Mme Rouille dreht die Heizung höher. Mir entgeht nicht, dass ihre Hand noch immer zittert.
»Irgendwann hat M. Marquet aber das Studium abgebrochen. Er hatte schreckliche Noten. M. Rouille und ich haben geheiratet, und M. Rouille bekam Arbeit im Saint-Remy-Krankenhaus. Da trat M. Marquet wieder in unser Leben. Er hatte begonnen, sich mit wesentlich jüngeren Frauen zu treffen, und gab nach Lust und Laune große Feste auf seinem Landsitz in der Dordogne. Zu einer der Feiern lud er mich und meinen Mann ein, es war eine Weihnachtsparty. Seine jüngere Freundin war so betrunken, dass sie früh zu Bett ging. Dadurch blieb es plötzlich an mir hängen , das Fest und das Personal zu beaufsichtigen. Ich war gerade in der Küche und habe alles mit der Catering-Firma geklärt, als M. Marquet reinkam und mich bat, mit ihm Wein aus dem Keller zu holen.«
»Oh mein Gott«, sage ich atemlos. Ich will gar nicht hören, wie es weitergeht. Dass es schrecklich wird, weiß ich, auch ohne Mme Rouilles Gesicht zu sehen.
»Er hat versucht, mich zu küssen, da habe ich ihn weggeschoben, aber er hat sich auf mich geworfen und ...« Mme Rouille verstummt. Sie blickt starr geradeaus durch die Windschutzscheibe, aber ich merke, dass sie wieder den schlimmen Weihnachtsabend vor sich sieht. »Als er fertig war, habe ich M. Rouille gesucht und ihn gebeten, mich mitten in der Nacht nach Paris zurückzufahren. Ich bin zum Arzt gegangen und habe Tabletten bekommen und bin ein paar Monate lang nicht mehr rausgegangen. Es war so demütigend.« Mme Rouille unterdrückt hörbar ein Schluchzen.
»Das hat M. Marquet Ihnen angetan?«, sage ich. »Wie konnte er nur?«
Ich habe PJs draufgängerischen Gastvater nie persönlich kennengelernt, aber Fotos von ihm gesehen und gehört, er sei trotz seiner häufigen Abwesenheit eigentlich ziemlich okay. PJs Berichten zufolge besaß er weit mehr Charakter als seine Frau, eine zierliche Frau mit hartem Gesicht, die andere gern schikanierte.
»Es war eine andere Zeit, damals.«
In meinem Kopf beginnt es zu hämmern. Glaubt sie etwa, dass M. Marquet PJ ebenfalls vergewaltigt hat? Könnte das sein?
Endlich kommen wir zu der Stelle, die den Verkehr behindert hat - ein schlimmer Unfall mit einem umgekippten Lieferwagen. Les Fleurs de Paris steht auf der Fahrertür. Überall auf dem abgesperrten Bürgersteig liegen Rosen herum.
Ich versuche mir vorzustellen, wie das für Mme Rouille gewesen sein muss, merke aber, dass ich es nicht kann - nicht mal annähernd. Ich würde meine Gastmutter gern trösten, sie mit einer Geste beruhigen. Ich habe ihr gegenüber nie Zuneigung gezeigt. Am liebsten möchte ich ihre Hand nehmen und ihr sagen, dass ja nun alles vorbei ist. Aber ich halte mich zurück. Irgendwie fürchte ich, dass Mme Rouille nicht unbedingt positiv auf mein Mitgefühl reagieren würde.
»M. Marquet war sehr wütend, dass ich nicht auf seine Annäherungsversuche eingegangen bin, obwohl ich verheiratet war, putain de merde! Er hat meinen Mann im Krankenhaus aufgesucht und ihm gesagt, wir seien bei der Pariser Gesellschaft unten durch.«
»Was meinen Sie damit?«
»Zuerst haben wir gedacht, er hätte das nur in seiner Wut geäußert. Aber dann, als wir Thomas bekommen haben, war es plötzlich schwierig, einen guten Kindergartenplatz für ihn zu bekommen, und noch schwieriger, dass er danach auf eine angesehene Schule ging. M. Rouille wurde bei mehreren Beförderungen übergangen, sodass er schon bald einen sehr viel jüngeren Chef hatte. Niemand hat es uns
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