Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
Ich habe irgendwie das Gefühl, mich übergeben oder Wasser trinken zu müssen oder beides und danach gleich alles noch mal von vorne.
Den Kopf über der Kloschüssel, sehe ich aus dem Augenwinkel Zacks Zahnbürste über dem Rand des Waschbeckens. Die hat er wohl vergessen, als er gestern Abend so wutentbrannt davongestürmt ist.
Ich krieche durch das Bad und steige in die gläserne Badewanne. Ich lasse mir Wasser ein und beobachte, wie es rings um mich herum höher steigt, bis es erst meine Oberschenkel und dann mein Kleid bedeckt und wahrscheinlich den Seidenstoff der Strumpfhose kaputt macht.
Während das laute Prasseln des einfließenden Wassers mein Schluchzen übertönt, lasse ich den Kopf unter Wasser gleiten und frage mich, ob ich wohl jemals meinen besten Freund zurückbekommen werde.
16 • OLIVIA
Familiengeschichten
»Thomas, ich glaube, ich würde Olivia lieber selbst zum Training fahren«, sagt Mme Rouille. »Olivia, bist du so weit?«
»Ich brauche nur fünf Minuten.« Ich renne in mein Zimmer und schlüpfe in ein schwarzes Trikot und Lycra-Shorts. Über meine Tanzkleidung ziehe ich ein Kapuzen-Sweatshirt und springe in meine Lammfellstiefel. Ich bin noch immer ziemlich satt vom Abendessen, aber natürlich möchte ich mir die Chance nicht entgehen lassen, mit dem Auto zur Place d'Italie gefahren zu werden. Mit der Metro dauert es mindestens eine Dreiviertelstunde. Und ich könnte wirklich etwas zusätzliches Training gebrauchen. Seit dem Auftritt gestern Nacht habe ich mich völlig gehen lassen. Ich komme mir vor wie ein fauler Sack.
Außerdem habe ich das Gefühl, dass Mme Rouille allein mit mir sprechen will. Als Thomas sie gedrängt hat, mehr zu erzählen, ist sie kreidebleich geworden und in die Küche gelaufen. Was meint sie damit, wenn sie sagt, dass PJ in größerer Gefahr schwebt, als ich denke?
Der Portier unten im Gebäude, in dem die Rouilles wohnen, fährt ihren cremefarbenen Mercedes vor.
Mme Rouille nimmt die belebte Avenue de la Grande Armée bis zur Porte Maillot und biegt dann südlich in die Périphérique ein. Auf dem Ring um Paris herrscht starker Stau. Mme hupt ungeduldig.
»Mme Rouille? Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Olivia, ich habe einen schrecklichen Fehler begangen«, sagt sie stockend. »Ich wusste nicht...«
»Mme Rouille! Was meinen Sie damit?«
»Deine Freundin. Deine Freundin, die bei uns war - Penelope. Sie ist so schön.«
PJs Schönheit ist für alle so offensichtlich, dass die Leute es irgendwie nicht ganz fassen können. Sie ist zu schön, um wahr zu sein. Wie kann so jemand real sein? Und einfach so mitten unter ihnen am Tisch sitzen? In ihrem Bett schlafen? Neben ihnen in der Schule sitzen? Es ist schwer, sich daran zu gewöhnen.
»Ich weiß. Sie sieht umwerfend aus. Ich hoffe wirklich - wirklich, dass es ihr gut geht.« Ich spüre, wie mein Magen sich verkrampft; wie immer, wenn mir klar wird, dass ich eine Zeit lang nicht an sie gedacht habe und sie aber noch immer nicht gefunden wurde.
Mein Leben geht weiter: Ich spaziere mit Thomas zum Batignolles-Markt; ich esse mit ihm und seiner Mutter zu Abend; ich stehe Ängste aus, irgendwann könnte herauskommen, dass ich mit jemandem zusammen bin, den meine Gastmutter nicht gutheißen wird. Ich fahre durch den dichten Pariser Verkehr; ich gehe ins Underground-Studio im 13. Arrondissement, mit der Frage im Kopf, wann ich wohl die Chance bekomme, noch mal für Henri aufzutreten. Und PJ ist noch immer verschwunden. Wie ist das möglich?
»Ich kann nicht fassen, dass ich nichts dagegen unternommen habe, dass das Mädchen uns verlässt, um stattdessen bei M. und Mme Marquet zu wohnen. Als du mir erzählt hast, dass du jemanden kennst, der bei ihnen wohnen wird, hatte ich keine Ahnung, dass es sich dabei um eine junge Frau handelt.«
»Warum? Warum ist das so wichtig?« Mme Rouille hat zwar die Sitzheizung im Mercedes an, aber mir ist trotzdem plötzlich eiskalt.
»Ich werde dir jetzt etwas erzählen, aber es ist äußerst wichtig, dass du es niemals Thomas weitererzählst. Versprichst du mir das?«
Wortlos starre ich sie an, diese Frau, die für mich Erziehung, Bildung, gute Manieren und würdevolles Auftreten verkörpert. Ihre Stimme verrät extreme Angst und ihre Hände zittern.
»Natürlich«, murmle ich.
»Ich kenne M. Marquet schon lange - schon vor Thomas' Geburt. Wir waren zusammen auf dem Lycée de Monceau, und er ist mit mir ein paar Mal ausgegangen, als wir noch jung waren. Er flirtete aber
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