Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
neulich morgens, als seine Haut sich kratzig auf meiner angefühlt hat, rasiert hat. »Wie geht es dir?«
Jay wirft mir ein schwaches Lächeln zu. »Nicht gut. Ich habe heute noch nichts von ihr gehört.«
Ich setze mich auf einen Stuhl in seiner Nähe und betrachte meine Fingernägel. Soll ich etwas über neulich nachts sagen? Beziehungsweise über den darauffolgenden Morgen?
»Jay -«, setze ich an, gerade als er ebenfalls etwas sagen will. »Was?« Ich lache nervös. »Was wolltest du sagen?«
»Da haben wir uns aber ganz schön hinreißen lassen, hm?«
»Das kannst du laut sagen.« Erstaunlich, wie blau das Wasser ist, das jetzt, unter der Mittagssonne, an das Ufer schwappt. »Im Moment ist irgendwie alles außer Rand und Band, oder nicht?«
»Oh Mann, stimmt.«
»Ich glaube, ich sollte dir lieber nicht mehr helfen«, erkläre ich ihm, während wir beide noch immer auf das Meer hinausschauen, statt einander anzusehen. »Ich habe dich bloß abgelenkt. Und alles nur noch schlimmer gemacht.«
Ich öffne meine Tasche und krame den Umschlag hervor, den mein Vater mir vor seiner Abreise über den Zimmerservice hat zukommen lassen. Jay macht den Umschlag auf und stößt einen Pfiff aus.
»Das wirst du brauchen«, sage ich. »Für das kommende Schulhalbjahr.«
23 • ZACK
Man hört nur, was man hören will
Die Schlange vor dem Van-Gogh-Museum verläuft um den ganzen Block herum. Pierson stöhnt bei dem Anblick. »Willst du dich wirklich anstellen und warten?«
»Ja«, sage ich entschieden. »Ich weiß nicht, wann ich mal wieder nach Amsterdam komme. Vielleicht kann ich es mir sonst nie mehr anschauen.«
Die Schlange bewegt sich stoßweise, weil die Aufsicht die Leute immer nur in kleinen Grüppchen reinlässt. Endlich erreichen wir die Eingangsstufen und Pierson hockt sich theatralisch auf eine der Treppen und macht ein großes Getue, wie müde er doch sei.
»Na, aufregende Nacht gehabt?«, frage ich.
Pierson kichert. »Das steht außer Frage.«
»Oh mein Gott!«, beklage ich mich. »Habt ihr zwei denn noch immer nicht genug voneinander?«
»Nein«, sagt Pierson. »Das zeigt nur, wie wenig du von den Bienchen und Blümchen weißt. Je mehr man es macht, desto mehr will man es nämlich auch.«
Seine herablassende Art bringt mich auf die Palme, genau wie die Lautstärke, mit der er spricht, sodass auch alle anderen in der Schlange es hören können.
»Hab's verstanden«, murmle ich. »Danke für die Aufklärung.«
Endlich werden wir eingelassen, aber obwohl die Aufsicht draußen aufpasst, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig im Museum sind, herrschen klaustrophobische Zustände. Van Goghs Bilder sind verblüffend, aber einige sind so klein und trotzdem stehen so viele Leute drumherum, dass ich sie überhaupt nicht richtig genießen kann. Hier herrscht genau so ein Gedränge wie im Anne-Frank-Haus am Tag zuvor. Mit dem einen Unterschied, dass ich heute kein Hasch geraucht habe. Irgendwie hatte ich es schon im Gefühl, dass es im Van-Gogh-Museum voll sein würde - er ist schließlich der berühmteste Maler der Welt -, aber ich hatte mich trotzdem nicht von der Idee abbringen lassen, dass ich es unbedingt noch sehen will, ehe ich abreise und ins Lycée zurückkehre.
Außerdem wollte ich heute Morgen möglichst schnell weg aus dem Studentenwohnheim. Bobby war früh wach und spielte den ganzen Morgen laut irgendwelche Computerspiele. Als wir ihn fragten, ob er nicht mitkommen will, hat er kaum geantwortet.
»Hey, Bruder, hier kann man sich ja nicht bewegen«, jammert Pierson.
»Nur noch zehn Minuten«, verspreche ich ihm, von der ganzen Situation gereizt.
Pierson stolpert fast über einen Kinderwagen, den er nicht gesehen hat. »Echt! Zack, das ist doch totale Sch..., Bruder! Ich geh raus.«
Pierson bahnt sich einen Weg an einem Pulk Menschen vorbei, dann durch die gläserne Doppeltür und die Betonstufen zur Straße hinunter.
»Pierson! Wo gehst du hin? Ich hab doch gesagt, nur noch zehn Minuten!«, rufe ich hinter ihm her, während ich ihm nachlaufe.
Pierson saugt tief die frische Luft ein. »Ich hab's da drinnen einfach nicht mehr ausgehalten.«
»Ich wollte doch nur noch zehn Minuten bleiben!« Ich weiß, dass ich wie eine Tunte wirke, die Hände auf den Hüften und meine Stimme eine Oktave höher als sonst. »Warum kannst du nicht mal zehn Minuten das machen, was ich will?«
Pierson schüttelt den Kopf. »Sorry, Bruder, es ging einfach nicht. Können wir nicht später noch mal herkommen
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