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Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Titel: Beautiful Americans 03 - Leben á la carte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Silag
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allerschönsten Unterkunft aus dem ganzen Programm, nur ein paar Blocks vom edlen Lycée de Monceau entfernt.
    Genau wie viele der Frauen, die sich ihren Weg durch das Gewirr der Marktgassen bahnen, habe ich mein Gesicht mit meinem Schal verhüllt. Man sieht nur meine Augen.
    Nach mehreren Stunden verlasse ich das Zentrum des Markts und setze mich auf eine Bank in der Nähe eines Hoteleingangs. Vielleicht war das Ganze ja doch eine dumme Idee. In letzter Zeit kann ich nicht mal mehr meinen eigenen Gedanken richtig trauen.
    Jay und ich kennen einander gar nicht richtig, jedenfalls nicht so, wie ich mir das manchmal selbst glauben machen möchte. Als ich völlig außer mir war und vor den Marquets weggerannt bin, habe ich den Kontakt zu ihm gesucht, aber nie etwas preisgegeben. Ich habe ihm blind vertraut. War verlockt, mich ihm anzuvertrauen. Habe immer angenommen, dass er geduldig und hilfsbereit reagieren würde. Aber in Bezug auf das, worum ich ihn diesmal bitten will, weiß ich nicht, ob das nicht verrückt ist. Doch, vielleicht schon.
    Ich sehe zu, wie Autos um eine Kurve rasen, auf die Schnellstraße auffahren und die Straßenüberführung passieren. Seit ich nach Paris gekommen bin, starre ich oft Fremde an und frage mich, wie sie wohl leben, was in ihren Köpfen vor sich geht. Haben sie auch Geheimnisse, so wie ich, die ihnen das Gefühl geben, gefangen zu sein? Oder fühlen sie sich ganz frei, wachen morgens auf und verlassen ihre Wohnung mit dem Gedanken im Kopf, was der Tag alles für sie bereithalten mag?
    Genau in diesem Augenblick erspähe ich ihn. Jay.
    Fast traue ich meinen Augen nicht. Sein Freund Cory ist bei ihm, und beide sehen dünn und müde aus, vor allem Jay. Ich gebe ein kehliges Krächzen von mir und stehe hastig von der Bank auf, aus Angst, ich könnte ihn sonst in der Menge verlieren.
    Ich stürme so schnell über die Straße, dass mir mein Schal vom Kopf rutscht und meine Haare herausgleiten. Dann stürze ich mich hastig ins Gewühl, ohne meinen Blick ein einziges Mal von Jay abzuwenden.
    Knapp außerhalb seiner Sichtweite verstecke ich mich hinter einem Stand mit alten Schuhen, während ich Jay und Cory dabei beobachte, wie sie sich irgendwelche Elektronikteile anschauen.
    Cory baut nämlich zum Spaß Computer zusammen. Fahrräder auch, glaube ich. Die beiden Jungs durchwühlen Drähte, Kabel, schwarze Plastikboxen. Schließlich nimmt Jay einen kleinen Gegenstand von einem Klapptisch und zeigt ihn Cory. Nickend schnappt ihn sich Cory aus seiner Hand.
    »Combien ça coute?«, fragt Cory und reicht dem Nordafrikaner ein paar Münzen. Die beiden Jungen gehen zum nächsten Tisch weiter.
    Jay seufzt und blickt sich mit sorgenvollen dunklen Augen um. Seine Haut sieht blass aus, nicht mehr auf diese magische Weise sonnenverwöhnt wie selbst noch in der allerletzten Woche des ersten Schulhalbjahrs. Sein Haarschnitt ist ein bisschen herausgewachsen. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen betrachte ich ihn mit größerer Befangenheit als früher. Ist er zum Fußballtraining gegangen oder war es zu kalt? Oder war er zu traurig, um hinzugehen?
    Es fällt mir schwer, unendlich schwer, nicht sofort zu ihm zu rennen. Der Schwung seines Kiefers, sein Hals bis hin zu seinen Schultern und seiner Brust vermitteln mir Sicherheit. Jay ist dafür bekannt, dass er lustig und locker ist, aber gleichzeitig wirkt er auch kompetent und klug. Im Moment, so wie er jetzt mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, sieht er aus, als könne er mit allem fertigwerden.
    Aber ich kann das nicht. Ich kann nicht in seine Arme laufen, mein Gesicht in dem rauen, leicht kratzigen Drei-Tage-Bart in seinem Gesicht vergraben. Ein Teil meines Körpers, meine Hände, meine Hüften, selbst meine Zungenspitze wollen es, wollen, dass ich zu ihm gehe, aber meine Füße versagen mir den Dienst. Bis ich die beiden fast aus den Augen verliere und ihnen schnell folge, mich hinter einen Stand nach dem anderen ducke.
    Vor allem Cory bewegt sich geschickt über den Flohmarkt. Er scheint ziemlich genau zu wissen, an welchen Tischen man anhält und welche man meidet, obwohl sie für mich alle das gleiche Gerümpel zu haben scheinen. Von meinem Standort aus sehe ich nur Computertastaturen, die von jahrelanger Benutzung bräunlich verfärbt sind, billigen Modeschmuck, gebrauchte Töpfe und Pfannen, Riesenpackungen mit Zahnpasta und Haargel. Bestimmten Tischen nähert sich Cory mit geradezu hoffnungsvoller Andacht. Für ihn scheint es sich nicht

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