Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
zerrissene T-Shirt tragen, das ich mir in Amsterdam gekauft habe. Es ist zwar ein bisschen übertrieben, aber für ein Hard-Rock-Konzert könnte es genau das Richtige sein! Oh nein! Zum zweiten Mal am heutigen Tag habe ich Bobbys Besuch ganz vergessen!
Schnell laufe ich in die Küche und frage bei meinen Gasteltern nach, ob es in Ordnung ist, dass ein Freund bei uns übernachtet.
»Tut mir leid, dass das so kurzfristig kommt«, verkünde ich. »Es ist doch okay, oder?«
»Klar, kein Problem«, erwidert Romy, meine Gastmutter. Jacques, ihr Ehemann, der hinter seinem Laptop sitzt, zuckt nur mit den Schultern. Ihm ist es egal, was ich treibe, sogar noch mehr als Romy. Er ist der Grund, warum sie sich als Gasteltern zur Verfügung gestellt haben: Er ist ein ehemaliger Absolvent vom Lycée de Monceau und spricht super Englisch, weil er für eine internationale Sicherheitsfirma tätig ist und beruflich viel herumkommt. Er arbeitet ziemlich viel, und Romy hat ebenfalls einen Job, aber sie sind trotzdem recht familiär eingestellt und auch gern Gasteltern. Aber mich muss man ja auch mögen, oder?
»Hat dein Freund denn nichts dagegen, auf der Couch zu schlafen?«, fragt Romy. »Oder schläfst du auf dem Sofa?«
»Du hast recht«, sage ich. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich werde im Wohnzimmer schlafen. Bobby kann mein Bett haben.«
»Wir haben auch eine - wie heißt das doch gleich auf Englisch? - Eine Matratze der Luft«, bietet sie an. »Wenn ihr lieber zu zweit im selben Zimmer schlaft.«
Ich muss mich zusammenreißen, um nicht rot zu werden.
* * *
Am Freitag fahre ich zum Gare du Nord, um Bobby abzuholen. Ich trage einen neuen kobaltblauen Dufflecoat, und der Schnee ist so weit geschmolzen, dass ich statt meiner Winterstiefel meine Lederschuhe mit Flügelspitze tragen kann. Vor La Brioche Dorée trinke ich einen Coffee to go, genau wie ich es ihm angekündigt habe. Ich muss sagen, kein Hollywood-Stylist hätte sich ein besseres Setting ausdenken können. Ich bin direkt von der Schule hergekommen, sodass ich eine Stunde zu früh da war. So musste ich nicht hetzen und riskieren, dass meine Haare verstrubbeln oder meine Kleidung zerknittert.
Lässig schlendert Bobby auf mich zu, noch bevor ich ihn richtig wahrnehme. »Du kommst mir irgendwie bekannt vor«, sagt er. Vor Überraschung lasse ich fast meinen Kaffeebecher fallen. Wie hat er es nur geschafft, sich so unauffällig an mich heranzuschleichen?
»Komm, umarm mich, mein Großer«, sagt Bobby mit einem Grinsen. Als wir uns umarmen, fühle ich mich genauso wohl wie in den Weihnachtsferien, als Bobby mich in Amsterdam rumgeführt hat. »Hallo«, sagt er, macht einen Schritt zurück und mustert mich von oben bis unten. »Du siehst klasse aus, Mann.«
»Ach, na ja«, stammle ich.
Ich habe ganz vergessen, wie attraktiv Bobby ist. Er gehört zu dem Typ Mann, den man erst etwas besser kennen muss, um zu merken, wie gut er aussieht. Er wirkt auf den zweiten Blick. Sein Lächeln ist das Beste an ihm. Es lässt sein gesamtes Gesicht erstrahlen. Er bekommt dann Grübchen in den Wangen und Falten auf der breiten Stirn. Sein Gesicht ist wahnsinnig offen und zuversichtlich, aber ohne eingebildet zu wirken, genau wie bei André. Er ist auch größer, als ich es in Erinnerung hatte, und mir fällt auf, dass er seine blonden Haare hat wachsen lassen, sodass sie struppig und auf eine Art hipstermäßig sind. Es ist stimmig. Alles an ihm ist stimmig. Ich habe ganz weiche Knie.
»Du wirkst irgendwie, als seist du krank oder so«, bemerkt Bobby und mustert mich aus der Nähe. »Geht es dir gut?«
»Oui, bien sûr«, sage ich extra laut. »Mir geht es sogar sehr gut!« Ich umarme ihn noch einmal und halte dabei meinen Kaffee hoch, damit ich nichts über mich oder ihn verschütte. »Toll, dich zu sehen, Kumpel!«
»Ja, Kumpel«, entgegnet Bobby. »Gut, sollen wir dann mal zusehen, dass wir aus dem Bahnhof rauskommen?«
Als Bobby und ich vom Bahnhof nach Hause kommen, erzählt uns Romy, dass sie pavé de boeuf brät.
»Ich mache Abendessen für uns, ja? Ihr habt nicht vor, noch wegzugehen, oder?«
»Das klingt wunderbar«, erwidert Bobby, noch bevor ich ablehnen kann. »In Holland bekommt man nirgends gutes Rindfleisch. Allerdings würde ich auch gar nicht wissen, wie man es zubereitet.«
»Merveilleux!« Romy wirkt hochzufrieden. »Möchtet ihr Jungs gern ein Glas Wein?«
»Klingt klasse«, kommt Bobby mir wieder zuvor.
Am liebsten würde ich ihm erzählen,
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