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Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Cohen
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Wände kritzeln. In der Öffentlichkeit! Hat euch jemand zugesehen? Wie konntest du mir das antun?
    – Du warst auf der Toilette. Wir haben draußen auf dich gewartet, an den Telefonen. Wir aßen Eis am Stiel, mit Schokohülle. Ich weiß nicht, was du so lange da drin gemacht hast. Wir waren mit dem Eis fertig. Edith entdeckte an meinem kleinen Finger einen Schokosplitter. In ihrer charmanten Art hat sie sich herabgebeugt und den Splitter mit ihrer Zungenspitze in ihren Mund befördert, wie ein Ameisenbär. Dabei hat sie nicht bemerkt, dass auf ihrem Handgelenk ebenfalls ein Splitter klebte. Den habe ich mir – zugegeben etwas unbeholfen – geschnappt. Nun war es ein Spiel. Die Natur bringt nichts Schöneres hervor als Spiele. Alle Tiere spielen, die wahrhaft messianische Vision einer Verbrüderung aller Geschöpfe muss auf der Idee des Spiels beruhen, ja –
    – Das heißt, Edith hat angefangen! Und wer hat wessen Ohr zuerst berührt? Ich will es ganz genau wissen, und zwar sofort. Du hast beobachtet, wie sie die Zunge herausgestreckt hat. Vielleicht hast du sie sogar angestarrt. Wer hat mit den Ohren angefangen?
    – Weiß ich nicht mehr. Vielleicht waren wir von den Telefonen bedröhnt. Ich glaube, mich zu erinnern, dass eine der Neonröhren geflackert hat, die Ecke, in der wir standen, sprang immer wieder aus dem Schatten, als würden riesige Schwingen über uns schlagen, oder die gigantischen Flügel eines immens großen elektrischen Ventilators. Die einzigen stabilen Formen im unruhigen Halbdunkel waren die beiden schwarzen Telefone. Sie hingen an der Wand wie geschnitzte Masken, schwarz, glänzend, glatt wie die Zehen oft geküsster römisch-katholischer Heiliger. Wir haben einander die Finger abgeleckt, etwas schüchtern jetzt, wie Kinder, die bei der Autojagd an ihren Lutschern saugen. Plötzlich klingelte eins der Telefone! Nur ein einziges Mal. Es jagt mir jedes Mal einen Schrecken ein, wenn so ein Münztelefon klingelt. Es hängt da, so grandios und einsam, wie das beste Gedicht eines wenig begabten Dichters, wie König Michael, der sich vom kommunistischen Rumänien verabschieden musste, wie eine Flaschenpost: Sollte jemand diese Zeilen lesen, dann …
    – Verdammt, F.! Du tust mir weh. Bitte.
    – Du hast gesagt, ich soll nichts auslassen. Ich vergaß zu erwähnen, dass die Neonröhren gesurrt haben, ungleichmäßig wie das Schnarchen eines Nebenhöhlenopfers. Ich nuckelte an ihrem schmalen Finger, mied ihren scharfen Nagel, die Wölfe kamen mir in den Sinn, die verbluten, wenn sie den Köder, ein blutbestrichenes Messer, lecken. Wenn die Neonröhre ansprang, schien unsere Haut gelb und jeder kleinste Pickel wurde deutlich sichtbar. Wenn sie versagte, nahmen wir eine violettstichige Blässe an, eine Farbe, die an alte, nasse Pilze erinnerte. Als es dann klingelte, erschraken wir so heftig, dass wir uns gegenseitig bissen! Wie Kinder in einer gefährlichen Höhle. Ja, da war tatsächlich einer, der uns beobachtete, aber das störte uns nicht. Er betrachtete uns im Spiegel des Weissagungsautomats, einer waageartigen Konstruktion, auf die er immer wieder von Neuem trat, die er immer wieder mit Fünf-Cent-Münzen fütterte, um ihr immer neue Fragen zu stellen, vielleicht auch immer wieder dieselbe. Und wo zum Teufel hast du gesteckt? Du musst dich an die Leute halten, mit denen du gekommen bist, sonst ist der Keller des System-Kinos ein schauderhafter Ort. Er riecht wie der letzte, verzweifelte Rückzugsort in einer von Ratten belagerten –
    – Du lügst doch! Ediths Haut war makellos. Und es riecht dort nach Pisse, nur nach Pisse. Und es geht dich einen Dreck an, was ich in dieser Zeit gemacht habe.
    – Ich weiß genau, was du gemacht hast. Was soll’s. Als das Telefon geklingelt hat, hat sich der Typ auf der Waage umgedreht und ist recht elegant abgestiegen, das muss ich sagen, und in diesem Augenblick war es, als sei der ganze Ort sein persönliches Arbeitszimmer. Wir standen zwischen ihm und seinem Telefon, und ich war – so lächerlich es auch klingen mag – voller Sorge, dass er uns Gewalt antun könnte, dass er ein Messer ziehen oder sich entblößen würde, denn sein ganzes beschwerliches Leben schien von diesem einen Anruf abzuhängen –
    – Ja, ich erinnere mich! Er trug so eine Western-Krawatte, ein Lederband.
    – Genau. Ich weiß noch, dass ich in diesem Schreckmoment dachte, er hätte das Klingeln selbst hervorgerufen, weil er ständig, wie in einem Ritual, an der Wählscheibe des

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