Beautiful Losers
herein, bemüht, ihr etwas zu erklären. Ihre von der Gicht verwüsteten Finger hat sie in die Ohren gesteckt. Ein Dämon bohrt mit einem Korkenzieher aus Feuer in ihren Ohren, vielleicht, um die Finger für immer dort festzuklemmen. Ein Dämon wirft einen Flammenspeer und trifft ihre betrauernswerten Brüste. Zwei Dämonen machen sich mit einer feurigen Trummsäge an ihrem Geschlecht zu schaffen. Ein weiterer Dämon fordert einige brennende Schlangen auf, sich um ihre blutenden Knöchel zu winden. Ihr Mund ist ein rußgeschwärztes Loch, ein eingebrannter, ewig gellender Hilfeschrei. Wie schon Marie de l’Incarnation an ihren Sohn geschrieben hat: On ne peut pas les voir sans frémir.
– Auuuutsch!
Il a baptisé un grand nombre de personnes, schreibt Marie de l’Incarnation.
– Ja, genau, zieht sie einfach raus, sagte der Priester freundlich. Und steckt sie nicht wieder rein. Ihr dürft sie nie wieder reinstecken. Und ihr dürft niemals den Telefontanz vergessen, egal, wie alt ihr seid.
– Plopp! Plopp! Plopp! Plopp!
– Schon besser, oder?
Sie zogen ihre schmalzigen Finger heraus. So wurde zwischen Wald und Herd eine Mauer des Schweigens errichtet. Die Alten, die sich um den Saum der Jesuitenkutte versammelt hatten, zitterten in einer Einsamkeit, die sie bisher nicht gekannt hatten. Sie hörten nicht mehr die Himbeersträucher, die sich raschelnd beugten, sie rochen nicht die Tannennadeln, die den Wind kämmten, sie wussten nichts mehr von dem letzten Augenblick im Leben der Forelle, der sich zwischen flachen, weißen Kieseln eines geäderten Flussbetts und dem flinken Schatten einer Bärenklaue entfaltet. Sie waren verwirrt und erstaunt wie Kinder, die enttäuscht feststellen, dass das Meer nicht rauscht in den Plastikmuscheln, die sie an ihre Ohren pressen. Wie Kinder am Ende einer langen Gutenachtgeschichte waren sie plötzlich durstig.
35.
Catherines Onkel war froh, als Pater Pierron 1670 weiterzog und eine Stelle in der Irokesenmission am St. Lawrence annahm. Viele, die ihm nahestanden, waren zum neuen Glauben übergetreten und hatten das Dorf verlassen, um in den neuen Missionen zu leben und ihrem Gott zu dienen. Der neue Priester, ein Pater Boniface, war nicht weniger effektiv als sein Vorgänger. Er sprach ihre Sprache. Er bemerkte, wie sehr die Indianer Musik liebten, und gründete einen Chor für Sieben- und Achtjährige. Ihre reinen, unverdorbenen Stimmen verbreiteten sich im Dorf wie der Duft eines guten Mahls, viele fanden den Weg in die kleine Holzkapelle. Allein im Jahr 1673 wurden in diesem Dorf, in dem vierhundert Menschen lebten, dreißig Seelen gerettet, dreißig erwachsene Seelen. Hinzu kamen die Neugeborenen und die Sterbenden. Kryn, der Häuptling der Mohawk, ließ sich bekehren und installierte sich in der neuen Mission als Prediger. Unter den Irokesen waren die Mohawk, die sich anfangs so wütend zur Wehr gesetzt hatten, der neuen Lehre gegenüber am aufgeschlossensten. Pater Dablon, der Oberste General der kanadischen Missionen, konnte 1673 vermerken: La foi y a été plus constamment embrassée qu’en aucun autre pays d’Agniers. 1674 führte Pater Boniface eine Gruppe von Neugetauften zur Mission von Saint-François-Xavier. Kurz nach seiner Rückkehr, im Dezember, starb er in Kahnawaké während eines Schneesturms. Er wurde von einem Pater Jacques de Lamberville ersetzt.
36.
Die Hütten im Dorf waren leer. Es war Frühling. Das Jahr: 1675. Irgendwo saß Spinoza und fertigte Sonnenbrillen. In England zog Hugh Chamberlen Babys mit einem geheimnisvollen Instrument heraus, einer obstetrischen Zange. Er war der einzige Mann in Europa, der mit dieser revolutionären Technik, die sein Großvater entwickelt hatte, Geburtshilfe leistete. Der Marquis de Laplace beobachtete die Sonne und kam zu dem Schluss, dass sie sich schon zu Beginn aller Existenz drehte, was er in seinem Buch Exposition du Système du Monde darlegt. Die fünfte Inkarnation von Tsong Khapa erreichte den Höhepunkt seiner zeitlichen Macht: Die Mongolen übertrugen ihm die Herrschaft über Tibet, sowie den Titel Dalai Lama. Die Jesuiten landeten in Korea. Eine Gruppe anatomisch interessierter Kolonialärzte, die sich durch das Verbot von Leichensektionen in ihrer Arbeit behindert sahen, berichteten, dass sie sich den »mittleren Teil eines Inders« verschafft hatten, der »am Tag zuvor hingerichtet« worden war. Dreißig Jahre war es her, seit die Juden nach Frankreich zurückgekehrt waren. Zwanzig Jahre war es
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