Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
wollten von der alten Frau Abschied nehmen, solange sie noch bei Bewusstsein war.
Als Becky mit der Arbeit im Keller fertig war, kehrte sie nicht sofort nach oben zurück, sondern gönnte sich erst einige Minuten der Ruhe. Zu angenehm war die Kühle des Kellers, um sich sofort wieder anderen Aufgaben zuzuwenden, wie sie es wohl getan hätte, wenn Emily und Winston auf dem Hof gewesen wären. Sie setzte sich auf die unterste Stufe der Treppe und zog Daniels letzten Brief aus ihrer Schürze hervor, um ihn noch einmal zu lesen. Seine letzten Briefe waren nicht mehr so lang wie sein erstes Schreiben, weil es nicht viel Neues zu berichten gab, ging doch auch auf der Cormick-Farm alles längst seinen vertrauten Gang. Auch kamen die Briefe nicht mehr in so schneller Folge wie in den ersten beiden Monaten. Aber ihr erging es ja nicht anders, und sie wusste, dass sie sich damit abfinden musste, von ihrem Bruder im Schnitt nur noch einmal im Monat Post zu erhalten. Das war nun mal der Lauf der Welt, wenn man weit voneinander getrennt lebte und zudem noch in die vielfältigen Pflichten eingespannt war, die das Leben auf einer Farm mit sich brachte.
Gerade hatte sie Daniels Brief wieder in die Tasche ihrer Schürze zurückgesteckt und sich gesagt, dass es Zeit wurde, im Küchengarten damit zu beginnen, das zwischen den Bohnenreihen wild wuchernde Traubenkraut auszureißen, als sie Hufschlag vernahm.
Verwundert horchte sie auf. Konnte es sein, dass Winston und Emily schon so früh von ihrem Besuch bei den Breckenridges zurück waren? Aber der Hufschlag, der nun erstarb, hatte überhaupt nicht nach Sammy geklungen, der den Buggy zog, sondern nach zwei Pferden! Wer mochte da also auf die Farm gekommen sein?
Schnell nahm sie das Kerzenlicht von der Stufe über ihr, blies es aus, eilte die Treppe hoch und lief zum Küchenfenster, das zum Hof hinausging. Aber dort war niemand zu sehen, weder Pferde noch ihre Reiter.
Im nächsten Augenblick zuckte sie erschrocken zusammen, sah sie doch drüben am Ende des hoch stehenden Maisfeldes, das fast bis an die Scheune reichte, eine fremde Gestalt, die sich langsam in Richtung Hof bewegte!
Zuerst vermochte sie nur einen pechschwarzen Haarschopf auszumachen und das Ende einer langen hölzernen Stange, die der Fremde hochhielt. Sekunden später wurde ein dunkelbrauner, nackter Oberkörper sichtbar, der im Sonnenschein fast wie polierte Bronze schimmerte. Der Mann trug eine merkwürdige Kette um den Hals, und die Stange, die er zum Wurf hochhielt, erwies sich als Lanze! Federn baumelten am Ende der Metallspitze herab.
Ein Indianer!
Der Schreck fuhr als eisiger Schauer durch ihren Körper. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass sie hier im Farmland auf Indianer stoßen könnte. Sie wusste, dass die Farmer weiter im Westen gelegentlich Schwierigkeiten mit Indianern aus den dortigen Reservaten hatten und dass die in den Indian Territorys stationierten Soldaten sich mit ihnen sogar noch Gefechte lieferten. Aber doch nicht im Umkreis von Madisonville, Winchester und den angrenzenden Bezirken! Weder Emily noch Winston hatte bisher auch nur ein Wort über eine solche Gefahr verlauten lassen!
Fieberhaft überlegte Becky, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollte. Sie hätte schwören können, den Hufschlag von zwei Pferden gehört zu haben, und musste davon ausgehen, dass sich zwei dieser Rothäute auf der Farm herumtrieben. Sollte sie im Haus und außer Sicht bleiben, sich völlig ruhig verhalten und darauf vertrauen, dass sie nur einige Hühner stahlen und dann wieder verschwanden?
Aber was war, wenn sie sich nicht damit begnügten, sondern Waldo und Molly davontrieben oder gar beschlossen, das Haus zu plündern? Wie konnte sie dann je wieder Winston und Emily unter die Augen treten? Ganz abgesehen von der Gefahr, im Haus von ihnen überrascht zu werden und sich zwei Wilden ausgeliefert zu sehen!
Nein, sie durfte sich nicht von ihrer Angst dazu verleiten lassen, im Haus untätig abzuwarten, was diese Indianer zu tun beabsichtigten! Sie musste handeln und das Überraschungsmoment, das auf ihrer Seite stand, nutzen. Denn vermutlich glaubten die beiden Indianer, niemanden auf der Farm anzutreffen und bei ihrem Beutezug völlig freie Hand zu haben, denn sonst wären sie bestimmt schon vorher von ihren Pferden gestiegen, damit der Hufschlag sie nicht verriet.
Sie schlüpfte aus ihren Schuhen, um so wenig Geräusch wie eben möglich zu machen, und hob die doppelläufige Schrotflinte
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