Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
Ordnung. Ohne ihn macht die Reise bestimmt keinen Spaß. Aber vielleicht sollte ich lieber der Reihe nach erzählen.
Also, es ist Folgendes passiert. Ich habe dir doch mal von Rosalyn erzählt, der Tochter der Cormicks, die vor über zwei Jahren mit einem Handelsvertreter durchgebrannt ist, nicht wahr? Sie haben lange nichts von ihr gehört. Doch jetzt hat sie wieder Kontakt zu ihren Eltern aufgenommen. Diese Rosalyn muss einen guten Riecher gehabt haben, als sie sich mit diesem mittellosen Burschen eingelassen hat, dessen Name übrigens Stewart Bancroft ist. Die beiden haben nicht nur geheiratet und vor ein paar Monaten einen Sohn bekommen, sondern er hat plötzlich auch noch eine satte Erbschaft gemacht. Und zwar hat ihm eine entfernte Patentante, die sonst keine anderen Erben hatte, ein Hotel in Savannah hinterlassen, stell dir das mal vor! Ein Hotel!
Und jetzt ist der elende Herumtreiber und Verführer, wie mein Pflegevater diesen Stewart Bancroft bisher immer beschimpft hat, plötzlich ein vermögender Mann und ehrbarer Bürger - und natürlich bei ihm und Helen ein ganz toller Hecht. Rosalyn hat darauf gedrängt, dass ihre Eltern zu ihr nach Savannah kommen, sie sollen bei der Taufe zugegen sein. Große Versöhnung und so. Helen war sofort Feuer und Flamme, auch weil ihre Tochter ihr versichert hat, dass es in Savannah tolle Ärzte gibt, die bestimmt in der Lage sein werden, ihr lästiges Nervenleiden und die Sache mit dem Wasser in ihren Beinen zu kurieren. Rosalyn hat sogar Geld geschickt. Ich weiß nicht, wie viel, aber es muss schon eine ordentliche Summe gewesen sein. Ich glaube, das hat die Cormicks am meisten beeindruckt. Auf jeden Fall haben sie sich Knall auf Fall entschieden, die Einladung anzunehmen und für einige Zeit zu ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn zu reisen - und mich mitzunehmen. Die Farm lassen sie derweil in der Obhut von Charleys Eltern und seinen Stiefbrüdern. Sie haben so eine Art von Pachtvertrag zwischen sich ausgehandelt. Na ja, für die Cormick-Farm kann das nur gut sein, so heruntergekommen, wie sie derzeit ist.
So, ich muss Schluss machen. William ruft schon wieder nach mir. Er will jetzt doch zuerst die Tiere aus dem Stall holen und zu den Sullivans treiben. Das also für heute, liebe Schwester. Mein nächster Brief wird aus Savannah kommen - vielleicht sogar auf edlem Hotelpapier! Aber drück mir bloß die Daumen, dass mich dieser Stewart Bancroft nicht in eine Hotellivree steckt und ich dort den Kofferträger und Hotelboy spielen muss.
Dir alles, alles Liebe!
Dein Bruder Daniel
PS: Da fällt mir noch etwas ein, was ich in der Aufregung und Eile fast zu fragen vergessen hätte. Was ist mit diesem Harvey Willard? In deinen letzten drei Briefen ist ständig von ihm die Rede, obwohl ich viel lieber mehr über den Indianer erfahren würde. Dieser Harvey scheint dich ja sehr zu beeindrucken. Ist er wirklich nur ein guter Freund, mit dem du dich über Bücher und solche Sachen austauschen kannst? Oder hat er vielleicht geschafft, was der arme Timothy vergeblich versucht hat - nämlich dich in sich verliebt zu machen? Wie schade, dass ich nicht bei dir bin und auf dich aufpassen kann, Schwester! Ich habe das Gefühl, dass du jetzt einen Bruder an deiner Seite dringend nötig hättest!
Becky spürte, wie ihr beim Lesen seines Postscriptums unwillkürlich das Blut ins Gesicht schoss. »Also wirklich, Daniel! So etwas Dummes!«, murmelte sie. Schnell faltete sie den Brief zusammen und schob ihn wieder in den Umschlag zurück.
Daniels spöttische Anspielung, dass sie für Harvey vielleicht mehr als nur freundschaftliche Gefühle hegte, vermochte sie an diesem Sonntag im März sehr leicht zu verdrängen. Die Nachricht, dass ihr Bruder mit den Cormicks für wer weiß wie lange nach Savannah gereist war, zurück an die Ostküste im tiefen Süden Amerikas und damit in unerreichbare Ferne, und dass damit ein Wiedersehen erst mal unmöglich war, stellte eine so bittere Enttäuschung dar, dass alles andere dagegen zu nichtiger Nebensächlichkeit verblasste.
Aber was ihre Beziehung zu Harvey anging, so konnte man wohl kaum von etwas Nebensächlichem reden. Die Frage, die Daniel in seinem Brief ausgesprochen hatte, ließ sich nicht auf Dauer verdrängen. Aus ihren Träumen und Gedanken kurz unterhalb der bewussten Wahrnehmung formte sich in den folgenden Wochen die immer stärker werdende Ahnung, dass die Frage, warum sie in ihren Briefen so viel von Harvey erzählte und ob ihre
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