Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
weiß doch, dass Winston es sich nach dem kostspieligen vergangenen Herbst jetzt nicht erlauben kann, mit mir auf die Reise zu gehen, wo doch Emily mit dem kleinen Benjamin alle Hände voll zu tun hat und so viel Arbeit ansteht. Mein Gott, ich bin bald siebzehn und erwachsen genug, um allein mit dem Zug nach Pleasantville zu fahren. Ich ziehe doch nicht allein irgendwo in ein wildes Land, sondern mache eine simple Zugreise! Aber wenn ich ihnen davon erzähle, wird sich Winston verpflichtet fühlen, mich zu begleiten, egal wie nötig er hier auf der Farm gebraucht wird. Er wird einfach darauf bestehen und das möchte ich nicht.«
»Ja, aber...«
»Nein, Harvey! Und versuche bloß nicht, mir das auszureden! Ich habe meinen Entschluss gefasst und dabei wird es auch bleiben!«
Er kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass es sinnlos war, sie von ihrem Vorhaben abbringen zu wollen, wenn sie solch einen energischen Ton anschlug. »Mensch, Becky, warum muss das gerade jetzt passieren, wo mein Vater so krank ist?«, fragte er gequält.
»Mach dir mal keine Sorgen um mich, ich habe schon ganz anderes hinter mir. Aber deine Hilfe kann ich gut gebrauchen.«
»So?«, fragte er skeptisch. »Wobei könnte ich dir denn helfen?«
»Du könntest mich heute Nacht mit dem Buggy abholen und mir damit den langen Fußmarsch nach Madisonville ersparen«, sagte Becky. »Der erste Zug nach Indianapolis geht um sieben Uhr und in Indianapolis finde ich bestimmt eine Verbindung hinunter nach Pleasantville. Am besten wartest du um vier Uhr drüben bei der großen Biegung des Deer Creek auf mich. Das dürfte weit genug vom Haus entfernt sein, dass niemand dich kommen hört.«
»Das gefällt mir gar nicht, Becky!«
»Und mir gefällt es noch weniger, wenn ich zu spät zu meinem Bruder komme!«, sagte Becky fast schroff. »Also, was ist? Kann ich auf dich zählen oder muss ich mich zu Fuß auf den Weg nach Madisonville machen?«
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Was für eine Frage! Natürlich kannst du auf mich zählen! Aber das ändert nichts daran, dass mir deine... Eigensinnigkeit heftig gegen den Strich geht. Und ich will nicht wissen, was Winston und Emily dazu sagen, wenn sie herausfinden, dass du dich einfach heimlich aus dem Haus geschlichen und ganz allein auf die Reise zu deinem Bruder gemacht hast!«
»Ich denke, ich habe bei ihnen etwas gut, und so schlimm wird es schon nicht werden«, wehrte sie ab. »Ich werde ihnen natürlich einen Brief auf dem Küchentisch zurücklassen, in dem ich ihnen alles erkläre. Ich muss es einfach tun! Ich warte also um vier Uhr auf dich am Fluss! So, und jetzt lass uns nicht länger darüber reden!«
Mit einem schweren Seufzer gab er sich geschlagen.
An diesem Abend zog sich Becky schon früh auf ihr Zimmer zurück. Dort schrieb sie Winston und Emily einen Brief, in dem sie ihnen mitteilte, warum sie unbedingt nach Pleasantville reisen musste. Sie bat um ihre Nachsicht und um ihr Vertrauen, dass sie alt genug sei, um diese Reise allein zu unternehmen, und schon auf sich aufpassen könne. In spätestens einer Woche wolle sie zurück sein. Den Brief steckte sie zusammen mit Helen Cormicks Schreiben in einen Umschlag, packte anschließend Wäsche und Strümpfe zum Wechseln sowie ein Buch zum Lesen auf der langen Bahnfahrt in einen Leinenbeutel und wartete dann, dass sich Emily und Winston zu Bett begaben.
Weil sie Angst hatte, im Bett einzuschlafen, harrte sie im Korbstuhl aus. Als sie hörte, wie Emily und Winston in ihr Schlafzimmer gingen, schlich sie zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Dort wartete sie, bis sie Winston schnarchen hörte. Sie blieb noch eine gute Stunde neben der Tür sitzen. Erst dann nahm sie ihren Reisebeutel an sich, steckte ihre geschnürten Halbschuhe hinein und schlich sich auf Strümpfen aus dem Haus.
Im Licht des Mondes lief sie zur Biegung des Deer Creek. Dort setzte sie sich am Fuß eines Baumes ins warme Gras und lehnte sich gegen den Stamm. Dass sie sich mehrere Stunden zu früh am verabredeten Treffpunkt eingefunden hatte, machte ihr nichts aus. Es war eine herrlich milde Sommernacht. Und wenn sie hier einschlief, was sie wohl kaum vermeiden konnte, würde sie Harvey wenigstens nicht verpassen. Deshalb kämpfte sie auch nicht gegen den Schlaf an, als ihr die Augen zufielen.
Sanft holte Harvey sie zum vereinbarten Zeitpunkt aus ihren Träumen. »Wenn du wüsstest, wie ich mit mir gerungen habe, ob ich dich wecken oder einfach bis zum
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