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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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bemalt. Sie trug ein weithin sichtbares Kreuz, das rechts und links von knallgrünen Lorbeerblättern eingefasst wurde. Darüber sah sie zwei geöffnete Hände, aus denen eine Taube aufflog. Und über dem Ganzen stand in roter Farbe und dicken Lettern die Aufschrift:
    Doctor & Reverend Jeremiah Glenfield
God’s Preacher and Answer
To all Your Questions & Worries
    Der Mann, der vom Kutschbock herab mit kräftiger und dunkler Stimme zu den vielleicht zwanzig Kindern, Frauen und Männern predigte, steckte trotz der Hitze in einem abgewetzten rabenschwarzen Anzug mit Weste und war von so kräftiger Statur wie ein Baumfäller aus einem der hintersten Täler von West Virginia. Sein dichtes Haupthaar, das ihm wie eine silbrige Löwenmähne bis auf die Schultern fiel, war schlohweiß. Dasselbe traf auf seinen langen Vollbart zu, der den Ausschnitt der Weste verdeckte. Er hatte sich zwei schmale Zöpfe, die rechts und links vom Kinn herabbaumelten, in seinen Bart geflochten und mit bunter Perlenschnur umwickelt.
    Neugierig trat Becky näher, blieb jedoch ein wenig von der kleinen Menschenmenge zurück. Sie setzte sich in den Schatten des Baugerüstes und lauschte der flammenden Predigt dieses seltsamen Wanderpredigers.
    »O du gnadenreicher Gott! Großer heiliger und barmherziger Gott, der du der Hohe und Erhabene bist, vor dessen Thron Cherubinen, Serafinen und alle Auserwählten in Demut ihr Antlitz bedecken, der du die Betrübten und Elenden ansiehst und dich erbarmst aller deiner Werke! Siehe, die betrübten und bekümmerten Seelen stehen allhier vor der Tür deiner himmlischen Gnaden und flehen dich um Hilfe an!«, rief Jeremiah Glenfield mit dem theatralischen Pathos eines Bühnenschauspielers und streckte dabei die Hände gen Himmel. »Die Vaterhand muss uns heilen! Darum, du gnadenreicher Gott, kommen wir zu dir und sprechen: Herr, hilf uns, erbarme dich unser! Lass mein Bitten, Suchen und Anklopfen bei dir Gnade finden! Ach, lass mich doch deine Erquickung empfinden. Und willst du mein Elend noch nicht ganz von mir nehmen, so nimm nur ein Teil desselben. Hilf uns kämpfen und arbeiten, damit wir die bösen Lüste besiegen und unseren Leib und unsere Seele dir zum Opfer geben, das da lebendig, heilig und wohlgefällig sei. Siehe, allmächtiger Gott, wie wir in dieser Welt so vielen Gefahren und Verführungen unterworfen sind! Du gnädiger und liebreicher Vater, wir leben und wissen doch nicht, wie lang; wir müssen sterben und wissen doch nicht, wann. Darum kommen wir vor deinen Thron und bitten dich demütig um Vergebung aller Sünden, die wir zeit unseres Lebens begangen haben.«
    »Amen!«, rief jemand in der Menge bekräftigend.
    »Ach, wer kann vor dir bestehen?«, fuhr der Mann auf dem Kutschbock des Planwagens fort. »Stark ist dein Zorn gegen die mutwilligen Sünder, die sich durch deine Wohltaten nicht zur Buße leiten lassen. Aber du willst nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe. Darum tun wir Buße im Staub und in der Asche! O Herr und Gott, steh uns in unserem Elend bei und mach uns aller Strafen frei. Befiehl doch dem Würgeengel, der sein Racheschwert führt, dass er ablasse und sage: Es sei genug!«
    Und so ging es in einem fort. Genug von dem Redestrom des Wanderpredigers, der sich über die vor dem Planwagen versammelten Bürger von Hunts Corner ergoss, hatten bald drei halbwüchsige Kinder. Vorsichtig, als trauten sie dem schlohweißen Mann auf dem Kutschbock irgendwelche dunklen Kräfte zu, schlichen sie davon.
    Als Becky schon meinte, dass auch die erwachsenen Zuhörer ihm keine weiteren fünf Minuten ihrer Zeit schenken würden, kam Jeremiah Glenfield unvermittelt zum Ende seiner Predigt. Er beendete sie mit einem dreifachen »Hosianna!« und einem »Der Herr sei gelobt jetzt und in alle Ewigkeit!«.
    Und kaum hatte er damit seinen wilden geistlichen Sermon abgeschlossen, als er hinter dem Vorhang eine große Kiste hervorzog, sie aufklappte und nun mit ähnlicher Redekunst seine Heiltinkturen, -wässerchen und -salben in kleinen Holzdosen und dunklen gelben und grünen Fläschchen anpries. Er präsentierte sie wie Zauberwasser aus dem legendären Jungbrunnen, rief mit gewichtiger Stimme ihren komplizierten lateinischen Namen aus und versicherte seiner Zuhörerschaft ihre angeblich unübertroffen heilsame Wirkung. Dabei zählte er eine wahre Litanei von Krankheiten und Gebrechen auf, gegen die seine Mittel garantiert halfen. Ob es sich um Blasenschwäche oder

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