Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
neue Jahr 1858 nahmen, war das Problem mit der täglichen Übernachtung. Bei dem eisigen Wetter die Nächte im Central Park zu verbringen kam ebenso wenig infrage wie eine Rückkehr in eine der Kellerabsteigen von Five Points. Coffin, der wieder in seinen angestammten Schlupfwinkel in der verruchten Bottle Alley zurückkehrte, bot ihnen zwar an, auch ihnen dort ein trockenes und einigermaßen warmes Plätzchen zu organisieren. Aber dieses Angebot schlug Becky dankend aus. Sie nahm nach einer Nacht auch Abstand davon, es Timothy und vielen anderen Zeitungsjungen nachzumachen, die sich an der Hauswand von größeren Betrieben auf die Gitterabdeckungen von Kellerschächten legten, aus denen warme Luft nach oben strömte, und sich mit einem Stück alter Segeltuchplane gegen Regen, Wind und Schneefall von oben schützten.
    »Da werden wir von unten gegrillt und von oben eingefroren«, sagte sie nach ihrer ersten und letzten Nacht auf den Metallstäben, in der sie kaum ein Auge zugetan hatten.
    »Man muss sich nur früh genug umdrehen, bevor man auf der einen Seite zu warm und auf der anderen zu kalt wird«, sagte Timothy. »Alles eine Sache der Gewöhnung.«
    Becky schüttelte den Kopf. »Ich werde mich nie daran gewöhnen, die Nächte wie am Spieß zu verbringen.«
    Eine verlockende Alternative stellte das Newsboys’ Lodging House dar. Ein noch junger und sehr engagierter Methodistenpfarrer namens Charles Loring Brace, der Gründer der Kinderhilfsorganisation Children’s Aid Society, hatte im fünften Stock der Sun auf dem dortigen Speicher eine vorbildliche Unterkunft eingerichtet. Unter den Dachsparren standen in langen Reihen einfache, aber saubere und mit richtigen Betttüchern bezogene Stockbetten für über vierhundert Zeitungsjungen. Zu den für Straßenkinder geradezu luxuriösen Annehmlichkeiten gehörten nicht nur blitzblanke Toiletten und Waschräume, sondern auch ein warmer Aufenthaltsraum, wo Bibeln und andere Lektüre zur geistigen Erbauung auslagen. Zudem konnte man sich in dieser Unterkunft nicht nur die Haare schneiden und sich von Läusen und anderem Ungeziefer befreien lassen, das sich in Haaren und Kleidung eingenistet hatte, sondern den Zeitungsjungen wurden auch preiswert nahrhafte Mahlzeiten zu vier Cent das Gericht angeboten. Die Übernachtung kostete noch einmal sechs Cent extra. Und es wurden ausschließlich Jungen im Newsboys’ Lodging House aufgenommen. Eine ähnliche Unterkunft für Mädchen, die kein Zuhause hatten und auf der Straße lebten, befand sich zwar schon in der Planung, wie es hieß, würde aber erst zu Beginn des nächsten Winters seine Türen öffnen.
    Als Becky von Timothy wissen wollte, warum weder er noch Josh oder Clover dort unter dem Dach der Sun die Nächte verbrachten, erhielt sie von ihm recht geringschätzig zur Antwort: »Ich habe nichts dafür übrig, mir von einem Methodisten beim Essen aus der Bibel vorlesen zu lassen. Dieser Charles Brace und seine Helfer mögen es auf ihre Art ja gut meinen, aber ihre Missionierungsversuche gehen mir gegen den Strich. Wenn die anderen damit leben können, ist das okay. Aber mich macht das heilige Getue, das uns fehlgeleitete Katholiken endlich zum wahren Glauben bekehren soll, verdammt allergisch. Josh und Clover kriegst du da auch nicht hin.« Er grinste breit. »Wir sind nun mal durch und durch Allwetterzeitungsjungen. Die Straße ist unser Zuhause und dabei wird es auch bleiben.«
    »Ich verstehe«, sagte Becky mit einem leisen Seufzer des Bedauerns. »Sechs Cent für ein sauberes Bett und nur vier Cent für ein gutes Essen, das wäre auch zu schön gewesen, wenn es da nicht irgendeinen Haken gegeben hätte.«
    »Aber das sieht natürlich jeder anders, sonst wäre die Bude nicht so voll. Vielen macht der ganze Bibelkram nichts aus. Die lassen das einfach über sich ergehen. Die frommen Sprüche perlen von ihnen ab wie Regen an einer Ölhaut. Und wenn du willst, kann ich versuchen, Daniel da oben unterzubringen«, bot Timothy an. »Ich kenne jemanden, der sich gut mit dem Herbergsvater versteht und ein gutes Wort für Daniel einlegen kann. Dein Bruder ist zwar jetzt Schuhputzer bei Captain Walsh, aber immerhin ist er mal Zeitungsjunge für die Sun gewesen, wenn auch nur für ein paar Tage. Ich bin sicher, dass wir das für ihn deichseln können.«
    Becky sprach mit Daniel darüber, doch dieser wollte nichts davon wissen. »Ich soll allein dort oben schlafen, während du dich irgendwo anders verkriechen musst? Nein, ohne

Weitere Kostenlose Bücher