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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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daran, wie sie ihre Zeitungen unters Volk brachte. Warum sollte sie die Gunst des Augenblicks nicht nutzen?
    Jeremy Walsh war nämlich nicht irgendein x-beliebiger Captain und er hatte schon gar nichts mit der Seefahrt zu schaffen. Er kommandierte keine Schiffscrew, sondern war seit Jahren in Lower Manhattan der unumstrittene König der bootblacks, der Schuhputzer. Wie die street sweeper und andere Kinder, die auf der Straße einem Gewerbe nachgingen, so waren auch die Schuhputzer straff organisiert, um sich vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen. Man sprach auch vom »Orden der Schuhputzer«, weil sie wie eine Geheimorganisation zusammenhielten. Und der Mann, der an der Spitze dieser Vereinigung stand, nachdem er sich durch brutale Gewalt gegenüber Konkurrenten durchgesetzt hatte, trug traditionsgemäß den Titel »Captain«. Es verstand sich von selbst, dass die bootblacks ihm einen festen Anteil ihrer täglichen Einnahmen abzuliefern hatten und dass allein der Captain bestimmte, wer sich an den besten Plätzen mit seiner Schuhkiste postieren durfte.
    »Ist noch was, Becky?«, fragte Captain Jeremy Walsh, als sie keine Anstalten machte, sich von seinem Tisch zu entfernen, und fügte noch spöttisch hinzu: »Das waren drei Cent! Oder hast du vielleicht einen Goldadler erwartet?«
    Becky lachte verlegen. Ein Golden Eagle war eine goldene Fünf-Dollar-Münze. »Nicht dass ich was dagegen hätte, mal einen davon in der Hand zu haben, Captain. Aber nein, das war sehr großzügig von Ihnen. Danke, Sir!«
    »Was ist es dann, was du noch loswerden willst?«
    »Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht noch einen Schuhputzer gebrauchen können«, platzte sie nun mutig heraus. »Ich suche nämlich Arbeit für meinen kleinen Bruder. Er ist jetzt neun und hat sich bisher mit dem Verkauf von Streichholzschachteln durchgeschlagen.«
    Captain Walsh lehnte sich in seinem Stuhl zurück, drehte den dicken Zigarrenstumpen, der wie ein schwarzes Rohr mit glühender Spitze aus dem Vorhang seines Bartes herausragte, und zog die Augenbrauen hoch. »Schau an, du willst also deinen Bruder bei mir unterbringen, ja? Was springt denn dabei für mich heraus?«
    »Natürlich das Übliche, Captain«, antwortete sie, ohne jedoch einen blassen Schimmer zu haben, was ein Junge als Einstand mitbringen musste, um als Schuhputzer in den Orden aufgenommen zu werden. Aber dass eine hübsche Summe fällig war, daran hegte sie nicht den geringsten Zweifel, wurde es doch überall so gehandhabt. Sogar wenn man Polizist werden wollte, musste man den Captain des Reviers, in dem man anfangen wollte, kräftig schmieren - mit vierzig Dollar, so hieß es. Und dieser Captain wiederum musste einen Teil an seine Vorgesetzten abgeben, die ihrerseits Bestechungsgelder an Politiker und Richter zahlten. So lief es nun mal.
    »Weißt du denn, was das Übliche ist?«
    »Nein, Sir«, gab sie unumwunden zu. »Aber ich bin sicher, dass ich das Geld, egal wie viel es ist, schon irgendwie zusammenbringe.«
    »Wenn du einen Goldadler beisammen hast, sprich noch einmal vor«, sagte er, rief der Bedienung zu, ihm noch ein Bier zu bringen, und schlug die Zeitung auf. Für ihn war das Gespräch damit beendet.
    Becky schluckte schwer, waren fünf Dollar für sie doch eine gewaltige Summe. Sie wich jedoch nicht von seiner Seite. »Captain?«
    Er ließ die Zeitung sinken. »Was ist denn jetzt noch?«
    »Kann mein Bruder nicht schon eher bei Ihnen anfangen?«, fragte sie inständig. »Ich werde Ihnen die fünf Dollar auch bis auf den letzten Cent zahlen, nur eben nicht alles auf einmal.«
    Er kniff die Augen zusammen, als hätte sie ihm ins Bier gespuckt. »Ich soll mich auf ein unsicheres Geschäft wie Ratenzahlungen einlassen, obwohl ich von dir nichts weiter weiß, als dass du Becky heißt und nicht auf den Mund gefallen bist?«
    Becky nickte. »Mein Wort ist so gut wie Gold, Captain!«, beteuerte sie. »Nicht einen Cent werde ich Ihnen schuldig bleiben. Und... und wenn es gar nicht anders geht, sollen Sie auch noch Zinsen auf den ausstehenden Betrag haben! Sind Sie mit zehn Prozent einverstanden?«
    Er starrte sie einen Augenblick ungläubig an, um dann in schallendes Gelächter auszubrechen. »Du bietest mir zehn Prozent Zinsen? Das ist ja ganz was Neues! Du hast es wirklich faustdick hinter den Ohren, Kleine! Also gut, du sollst deinen Willen bekommen, Becky. Komm morgen um dieselbe Uhrzeit mit deinem Bruder, damit ich mir den Burschen mal ansehen kann. Und jetzt sieh zu, dass

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