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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Augenblick länger bei ihm.
    Kurz darauf, als sich die vorderen Reihen mit den jüngeren Mädchen und Jungen schon beachtlich geleert und die vielen Schaulustigen die Kirche längst verlassen hatten, trat zum zweiten Mal ein Mann zu Daniel. Als er hörte, dass sie nur als Geschwisterpaar zu haben waren, warf er Becky einen abschätzigen Blick zu und fragte knapp: »Wie alt bist du?«
    Becky hatte ihren Stolz und dachte nicht daran, sich auch nur einen Monat jünger zu machen, und antwortete deshalb wahrheitsgemäß: »Im August werde ich fünfzehn.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Zu alt. In dem Alter biegt man keinen mehr zurecht«, sagte er und stiefelte davon.
    Daniel warf ihr einen halb ärgerlichen, halb verzweifelten Blick zu und raunte: »Hättest du denn nicht wenigstens ›noch vierzehn‹ sagen können?«
    »Das hätte auch keinen Unterschied gemacht«, erwiderte sie. »Außerdem hätte ich bei dem nicht sein wollen! Ich will mich nicht zurechtbiegen lassen! Und du solltest es auch nicht wollen!«
    »Ja, aber...«, begann er, sprach jedoch nicht weiter. Tränen der Enttäuschung schimmerten in seinen Augen und er ließ den Kopf sinken.
    »Lass jetzt nicht den Kopf hängen. Dazu besteht wirklich kein Anlass, Daniel«, sagte sie sofort sanft und bereute ihren grimmigen Ton. »Wir sind nicht die Einzigen, die hier niemanden gefunden haben. Sieh doch nur: Es sind bestimmt noch an die siebzig andere Kinder, die mit uns weiterreisen werden. Das hier war doch nur die erste Station, und du hast doch gehört, dass wir bis Indiana noch viele Gelegenheiten bekommen, eine Familie zu finden. Und wir werden eine finden, ganz bestimmt!«
    Wenig später sammelte Georgia Cunningham ihre Schützlinge, für die sich in Auburn Heights keine neuen Eltern gefunden hatten, vierundsechzig an der Zahl, wieder ein und führte sie ins Hotel zurück. Die Stimmung war gedrückt und so manche bittere Träne floss über Kinderwangen. Georgia Cunningham und ihre beiden Begleiter hatten alle Hände voll zu tun, sie vor dem Abendessen im Speiseraum mit aufmunternden Worten die schmerzliche Zurückweisung zwar nicht vergessen, aber doch leichter ertragen zu machen.
    »Ihr seid alle ohne Ausnahme kostbare und liebenswerte Kinder, die auch alle ein neues Heim finden werden!«, versicherte sie ihnen. »Aber das geht nun mal nicht von heute auf morgen. Nicht jeder Deckel passt auf jeden Topf. Aber wir werden schon den richtigen für jeden von euch finden. Also nur Zuversicht! Morgen geht die Reise weiter nach Ohio! Und diesmal werden wir mit einem richtigen Passagierzug fahren!«
    Als es Zeit war, zu Bett zu gehen, verschloss Becky sich gegen den Wirrwarr ihrer Gefühle, den die Erlebnisse der vergangenen Stunden in ihr aufgewühlt hatten. Sie versuchte, sich einzureden, dass sie froh sein konnte, dass niemand von diesen Menschen sich für sie beide interessiert hatte. Mit keinem von denen, die in der Kirche gewesen waren, hätte sie mitgehen wollen.
    Aber das war nur die halbe Wahrheit. Denn das Wissen, dass niemand sie angesprochen und auch nur für einen Moment in Erwägung gezogen hatte, sie zu sich nach Hause zu nehmen, schmerzte dennoch - und zwar tiefer, als sie sich eingestehen wollte.

35
    F ÜNF ermüdende Tage später, in denen sie Pennsylvania und den größten Teil von Ohio durchquert und noch vier weitere dieser aufreibenden Präsentationen ertragen hatten, führte Georgia Cunningham mit Becky ein Gespräch unter vier Augen.
    Es geschah in einer kleinen Siedlung namens Forest Grove, in der sich die Waisenkinder erstmals nicht in einem Gotteshaus, sondern im dortigen General Store Schaulustigen und interessierten Ehepaaren präsentieren mussten. Die Kirche, in der sie sich eigentlich hätten einfinden sollen, war wenige Wochen vorher nach einem Blitzeinschlag bis auf das Fundament niedergebrannt.
    »Ich glaube, wir müssen einmal ein ernstes Wort miteinander reden«, sagte Georgia Cunningham und führte Becky hinaus unter das Vordach vom Merchants Hotel , das wie all die anderen Unterkünfte, in denen sie bisher genächtigt hatten, nur den einfachsten Ansprüchen durchreisender Handelsvertreter genügte.
    Becky nahm mit ihr auf der Veranda auf einer Holzbank Platz und ahnte, worüber die verantwortliche Agentin der Children’s Aid Society mit ihr reden wollte. Ihre Gruppe war inzwischen auf dreiunddreißig Kinder zusammengeschmolzen. Aber auch an diesem Nachmittag hatten Daniel und sie nicht zu den neun Kindern gehört, auf die

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