Bedenke Phlebas
werden?
»Ich verstehe nicht. Was meinst du? Auf welche Weise soll ich
darüber denken?«
»Nun«, erläuterte der Junge, »wer wird ihn
gewinnen?« Er war verärgert. Fal hatte den Verdacht, es sei
sehr offensichtlich gewesen, daß sie nicht zugehört hatte.
Sie sah Jase an, aber der alte Roboter schwieg, und ohne Aurafeld
konnte niemand sagen, was er dachte oder fühlte. Belustigte es
ihn? Machte es ihn besorgt? Sie nahm den letzten Schluck von dem
kalten Getränk.
»Wir natürlich«, behauptete sie, von dem
Jungen zu Jase blickend. Der Junge schüttelte den Kopf.
»Da bin ich mir nicht so sicher.« Er rieb sich das Kinn.
»Ich bin mir nicht sicher, ob wir den Willen haben.«
»Den Willen?« wunderte sich Fal.
»Ja. Den Wunsch zu kämpfen. Ich glaube, die Idiraner
sind Kämpfer von Natur aus. Wir nicht. Sieh uns doch
an…« Er lächelte, als sei er viel älter und halte
sich für viel weiser als das Mädchen, und er drehte den
Kopf und winkte mit der Hand lässig zu der Insel hin, wo die
Boote auf den Strand gezogen waren.
Fünfzig oder sechzig Meter weiter weg, in dem seichten Wasser
unter einer kleinen Klippe sah Fal etwas, das wie ein kopulierendes
Paar aussah. Sie ruckten auf und ab, die dunklen Hände der Frau
lagen um den helleren Nacken des Mannes. Hatte das den Jungen zu
seiner Bemerkung veranlaßt?
Nun ja, die Faszination des Sex.
Zweifellos machte es großen Spaß, aber wie konnten die
Leute das so ernst nehmen? Manchmal überkam Fal Neid auf
die Idiraner; sie kamen darüber hinweg; nach einer Weile spielte
Sex für sie keine Rolle mehr. Sie waren Doppel-Hermaphroditen,
jede Hälfte des Paares schwängerte die andere, und jeder
gebar für gewöhnlich Zwillinge. Nach einer oder
gelegentlich zwei Schwangerschaften – und Stillzeiten –
wechselten sie von ihrer fruchtbaren Brüter-Phase in die des
Kriegers über. Die Meinungen darüber, ob sie an Intelligenz
gewannen oder nur eine Persönlichkeitsveränderung
durchmachten, waren geteilt. Bestimmt wurden sie listiger und
verloren dafür an Aufgeschlossenheit, sie wurden logischer und
verloren an Vorstellungskraft, sie wurden kühner und verloren an
Mitgefühl. Sie wuchsen um einen Meter, ihr Gewicht verdoppelte
sich beinahe, ihre hornige Haut wurde dicker und härter, ihre
Muskeln nahmen an Umfang und Festigkeit zu, und ihre inneren Organe
veränderten sich so, daß sie dem höheren
Energiebedarf gerecht wurden. Gleichzeitig absorbierten ihre
Körper die Fortpflanzungsorgane, und sie wurden geschlechtslos.
Alles war sehr geradlinig, symmetrisch und ordentlich, wenn man es
mit dem System der Kultur verglich, sich den Partner selbst zu
wählen.
Ja, sie konnte verstehen, warum dieser schlaksige Idiot, der mit
einem überlegenen, nervösen Lächeln vor ihr saß,
sich von den Idiranern beeindrucken ließ. Junger Esel.
»So sind wir…« Fal ärgerte sich gerade soviel,
daß sie ein bißchen um Worte verlegen war. »So sind
wir nun einmal. Wir haben uns nicht weiterentwickelt… wir haben
uns sehr verändert, wir haben uns selbst sehr
verändert, aber es hat keine Evolution mehr stattgefunden, seit
wir herumgelaufen sind und uns umgebracht haben. Ich meine, uns
gegenseitig umgebracht haben.« Sie saugte den Atem ein. Jetzt
ärgerte sie sich über sich selbst. Der Junge lächelte
ihr tolerant zu. Sie spürte, daß sie errötete.
»Trotzdem sind wir immer noch Tiere«, erklärte sie
überzeugt. »Wir sind ebenso von Natur aus Kämpfer wie
die Idiraner.«
»Wie kommt es dann, daß sie gewinnen?« höhnte
der Junge.
»Sie hatten einen Vorsprung. Wir haben erst im letzten
Augenblick angefangen, uns auf den Krieg vorzubereiten. Das
Kriegführen ist für sie eine Lebensweisheit geworden; wir
sind darin bis heute immer noch nicht so gut, weil es Hunderte von
Generationen her ist, daß wir es tun mußten. Keine
Bange…« – sie blickte in ihr leeres Glas und senkte
die Stimme ein bißchen –, »wir lernen es schnell
genug.«
»Wart’s nur ab!« Der Junge nickte vor sich hin.
»Ich glaube, wir werden uns aus dem Krieg zurückziehen und
die Idiraner mit ihrer Expansion weitermachen lassen – oder wie
du es nennen willst. Der Krieg ist irgendwie aufregend gewesen, und
er hat eine Abwechslung gebracht, aber jetzt dauert er schon beinahe
vier Jahre, und…« – wieder wedelte er mit der Hand
– »…wir haben noch keine großen Fortschritte
erzielt.« Er lachte. »Wir tun nichts anderes als
weglaufen!«
Fal stand schnell auf und wandte sich ab, weil sie
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