Bedenke Phlebas
»Wir brauchen ein Transportmittel, wenn wir
uns auf die Suche nach dem Gehirn machen.«
»Wird das ein Spaß«, meinte Balveda. »Wir
könnten alle für immer und ewig im Kreis
herumfahren.«
»Ich nicht.« Aviger wandte sich von Horza ab und sah die
Kultur-Agentin an. »Ich kehre zur CAT zurück. Ich
werde nicht auf die Suche nach diesem verdammten Computer
gehen.«
»Gute Idee«, warf Yalson sein. »Wir könnten
dich zum Gefangenentransport abkommandieren und dich mit Xoxarle
zurückschicken, nur ihn und dich.«
»Ich werde allein gehen«, erklärte Aviger mit
leiser Stimme und wich Yalsons Blick aus. »Ich habe keine
Angst.«
Xoxarle lauschte ihrem Gespräch. Diese quietschigen,
kratzigen Stimmen! Noch einmal prüfte er seine Fesseln. Der
Draht schnitt an Schultern, Oberschenkeln und Handgelenken um zwei
Millimeter in seine Hornhaut ein. Das tat ein bißchen weh, aber
vielleicht würde es der Mühe wert sein. Still schnitt er
sich an dem Draht, rieb mit aller Kraft, die er aufbrachte, gegen die
Stellen, wo der Draht ihn am festesten hielt, scheuerte den
Keratinpanzer seines Körpers absichtlich auf. Als er gefesselt
wurde, hatte er tief Atem geholt und, soweit es ging, alle Muskeln
angespannt. Das hatte ihm gerade genug Spielraum gegeben, sich zu
bewegen, aber er brauchte ein bißchen mehr, wenn er eine Chance
haben wollte, sich loszumachen.
Er hatte keinen Plan, keine Zeitvorstellungen. Er hatte keine
Ahnung, wann sich ihm eine Gelegenheit bieten würde, aber was
konnte er sonst tun? Sollte er wie eine ausgestopfte Puppe, wie ein
braver Junge hier stehenbleiben? Während diese zappelnden
Würmer mit ihren weichen Körpern ihre schwammige Haut
kratzten und herauszufinden versuchten, wo das Gehirn war? So etwas
konnte ein Krieger nicht tun; er war einen zu weiten Weg gegangen,
hatte zu viele sterben sehen…
»He!« Wubslin öffnete ein kleines Fenster im
obersten Stockwerk des Zuges, lehnte sich heraus und rief den anderen
zu. »Diese Aufzüge funktionieren! Ich bin gerade in einem
hinaufgefahren! Alles funktioniert!«
Aviger winkte zurück. »Großartig,
Wubslin!«
Der Ingenieur zog den Kopf wieder ins Innere. Er ging durch den
Zug, prüfte und berührte, inspizierte Kontrollen und
Maschinerie.
»Immerhin recht eindrucksvoll, nicht wahr?« sagte
Balveda zu den anderen. »Für die damalige Zeit.«
Horza nickte. Sein Blick wanderte nachdenklich vom einen Ende des
Zuges zum anderen. Er trank die Dose leer, stellte sie auf die
Palette und stand auf. »Ja, das ist es. Aber was hat es ihnen
genützt?«
Quayanorl zog sich die Rampe hinauf.
Eine Rauchglocke hing in der Luft des Bahnhofs, die sich bei der
langsamen Luftzirkulation kaum verlagerte. Aber im Zug arbeiteten
Ventilatoren, und das bißchen an Bewegung, das es in der
graublauen Wolke gab, kam hauptsächlich von den Stellen, wo
offene Türen und Fenster den stechenden Nebel aus den Wagen
bliesen und durch Luft ersetzten, die das Klima- und Filtersystem des
Zuges gereinigt hatte.
Er zog sich durch Trümmer – Stücke von Wand und Zug
und sogar Fetzen und Scherben von seinem eigenen Anzug. Er ging sehr
mühselig und langsam, und er fürchtete schon, er werde
sterben, bevor er den Zug erreichte.
Seine Beine waren nicht zu gebrauchen. Wahrscheinlich würde
er besser vorankommen, wenn ihm die anderen beiden auch abgerissen
worden wären.
Er kroch mit seinem einen unverletzten Arm voran, faßte den
Rand der Rampe und zog mit aller Kraft.
Die Anstrengung war qualvoll. Immer, wenn er zog, glaubte er,
diesmal werde der Schmerz geringer sein, aber das war er nicht. Es
war, als würden seine Blutgefäße für jede der zu
langen Sekunden, die er an dieser Rampenkante hing und seinen
zerbrochenen, blutenden Körper über die
trümmerbesäte Oberfläche weiter hinaufzerrte, mit
Säure überflutet. Er schüttelte den Kopf und murmelte
vor sich hin. Blut strömte aus den Rissen in seiner Hornhaut,
die geheilt waren, solange er stillag, und jetzt wieder aufplatzten.
Er fühlte Tränen aus seinem einen unversehrten Auge rinnen
und die heilende Flüssigkeit die Stelle überströmen,
wo ihn das andere Auge aus dem Gesicht gerissen worden war.
Die Tür vor ihm schimmerte durch den hellen Nebel. Aus ihr
drang ein schwacher Luftstrom, der den Rauch wirbeln ließ.
Quayanorls Füße scharrten hinter ihm her, und die Brust
seines Anzugs pflügte eine kleine Bugwelle aus Trümmern von
der Oberfläche der Rampe. Wieder faßte er die Kante und
zog.
Er
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