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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Krieg verdient hatten und die Paule immer verächtlich als »Kriegsgewinnler« bezeichnet hatte. Jedenfalls produzierte die Firma Armbruster weiter, wenn auch mit reduzierter Belegschaft, und ihn hatte man wieder genommen, als er seine Verletzung auskuriert hatte.
    Das Bett knarrte, man hörte einige rasselnde Schnarchlaute und plötzlich vernahm Johannes ein verschlafenes »Wie spät ist es denn?«. Eugen hatte sich im Bett aufgerichtet und starrte ihn schlaftrunken an.
    »Erst halb sechs, kannst noch eine Runde schlafen. Ich bin auch gleich fertig.«
    Knurrend ließ sich Eugen wieder in das Kissen zurückfallen. Er kam aus einem Nachbarort und arbeitete beim Tournier, der jetzt im Jahre 1922 der größte Arbeitgeber im Dorf war. Kurz nach Ende des Krieges hatte die Firma geschlossen, aber nach einigen Wochen geschah auch hier ein kleines Wunder: Es ging wieder weiter wie vor dem Krieg! Johannes war es merkwürdig vorgekommen, dass in diesem Land wieder Fotoverschlüsse gebraucht wurden, aber offensichtlich war das so – und mehr noch als die Verschlüsse fanden die Spezialmaschinen, die Fräsen und Automaten, guten Absatz.
    Fast fünfhundert Menschen aus dem oberen Enztal bekamen dort Arbeit, auch der Eugen Rentschler, mit dem sich Johannes seit zwei Jahren das Zimmer teilte. Als Ungelernter musste er in der Gießerei arbeiten, ein »Drecksgeschäft« war das, wie er immer wieder erzählte, aber man konnte es sich eben nicht aussuchen. Zudem war der Schlafplatz bei der Witwe Bott billig, das Frühstück ganz ordentlich und er konnte sogar etwas auf die hohe Kante legen. Er »ging« nämlich seit knapp einem Jahr mit einem Mädchen aus Grunbach, und das schien etwas Festes zu sein, wie er Johannes anvertraute. Sie arbeitete im Café Wirtz und Johannes kannte sie vom Sehen. Eine dralle Blonde, die etwas zu laut und zu schrill lachte. Aber Eugen war schwer verliebt, und wenn er erst mitten in der Nacht heimkam, brachte er einen merkwürdigen Geruch mit, Johannes konnte ihn drüben in seinem Bett riechen. Es war ein süßlicher Geruch nach billigem Parfum und Puder, ein Geruch nach Frauenhaut und Zärtlichkeit, der ihm fremd war. Aber vielleicht bildete er sich das alles nur ein? Vielleicht spielte ihm seine Fantasie einen Streich.
    Die Sitten waren lockerer geworden nach dem Krieg. Menschen, die den Tod geschmeckt hatten, wollten vom Leben kosten, so viel wie möglich! Gott allein wusste, in wie vielen Betten Fritz schon herumgekommen war. Die Mädchen machten es ihm leicht, war er doch der hübscheste Kerl im ganzen Dorf. Er hatte etwas, das man nicht genau benennen konnte, aber es war da und er konnte jede kriegen, wie er immer wieder sagte. Es klang nicht angeberisch, sondern wie die nüchterne Feststellung einer Tatsache – es war eben so, und er, Friedrich, würde das nutzen. Wichtig war nur, dass man aufpasste und den Weibern keine Kinder machte. Ständig lag er Johannes in den Ohren: Er wollte ihn mitnehmen. Die, mit der er sich heute Abend treffen wolle, habe eine nette Freundin, sehe auch ganz gut aus. Ein paarmal war er dann auch mitgegangen, saß mit Friedrich in Cafés und Gasthäusern, spendierte Kaffee und Kuchen oder ein Glas Wein, aber hockte nur stumm da, wenn Friedrich redete, unaufhörlich redete und ihm einen Tritt gegen das Schienbein gab.
    »Sitz nicht so da wie ein Holzklotz«, musste er sich immer wieder anhören, und wenn Friedrich dann mit seinem Mädchen verschwand und ihm aufmunternd zuzwinkerte, verabschiedete er sich schnell und ließ seine Tischnachbarin mit offenem Mund dasitzen. Er konnte mit diesen plappernden, kichernden Wesen nichts anfangen und es ekelte ihn auch vor dem, was die Leute, auch Friedrich, fälschlicherweise als »Liebe« bezeichneten. Es hatte ihn schon in der Stadtmühle geekelt, wenn die »Kavaliere« kamen, mehr noch im Feld, wo er einige Male mitbekommen hatte, wie plötzlich Frauen bis fast nach vorne an die Front kamen. Häuser wurden requiriert, um als Feldbordelle benutzt zu werden, und die Männer, die sich freudig zugeflüstert hatten, Weiber seien gekommen, stellten sich in langen Reihen vor diesen Häusern auf. Ganz vorne am Eingang hatte ein Sanitäter Desinfektionsmittel und Salben verteilt, die davor und danach aufzutragen waren, und dann hatte jeder Soldat zehn Minuten Zeit gehabt. Johannes hatte die Männer einerseits verstanden, den meisten ging es weniger um die Lust als darum, einige Minuten vergessen zu können. Es ging ihnen um Wärme und

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