Beerensommer
und Tüll an seiner Seite, diese Treppe heruntergekommen ist, um seine Gäste zu begrüßen. Bestimmt roch es nach Champagner und Veilchenparfum und guten Zigarren, die die Herren am Kamin rauchten. Jetzt riecht es modrig, ein dumpfer Geruch nach Verfall und Vergangenheit hängt in den Räumen und es scheint kaum glaubhaft, dass hier einmal was lebendig war.
»Ich muss dir noch etwas zeigen.« Richard deutet auf eine große Tür. »Komm mit, du musst dir mal das Bad anschauen!«
Als sie es betreten, muss Anna lachen. Sie lacht aus vollem Herzen. Eine riesige Badewanne mit Löwenfüßen, altmodische, verschnörkelte Armaturen und unter der Decke schweben pausbackige Engelchen aus Stuck. Sie stellt sich Lisbeth Dederer in dieser schwülstigen Pracht vor! Und die meisten Häuser in Grunbach hatten zu dieser Zeit nicht einmal ein richtiges Klo ...
Du hast es ihnen gezeigt, Friedrich Weckerlin!, denkt sie belustigt und auch ein wenig anerkennend. Ein weiter Weg von der Stadtmühle bis hierher ...
Schließlich gehen sie in einen großen Raum, der zur Bergseite hin liegt. Ein Fenster, das fast eine ganze Seite des Zimmers einnimmt, öffnet den Blick auf die Hänge des Eibergs.
»Das war sein Schlafzimmer. Hier ist er auch gestorben«, sagt Richard. »Schau dir den Blick an! Morgens, wenn über dem Eiberg die Sonne aufgeht, ist das Farbenspiel fantastisch. Und hier, schräg da drüben, konnte er den Rauch aus dem Hause deines Urgroßvaters aufsteigen sehen. Wenn du mich fragst, ist das kein Zufall. Friedrich wollte mit aller Macht seiner Vergangenheit entkommen, als er das Haus gebaut hat, dieser Vergangenheit in Armut. Und trotzdem hat er so gebaut, dass etwas aus dieser Vergangenheit ihm lebenslang vor Augen blieb.«
Beim Abendessen berichtet Anna Gretl vom Besuch in der Weckerlin-Villa. Sie erzählt von den riesigen, stuckverzierten Räumen, den schweren Eichentreppen mit den geschnitzten Handläufen und den Spitzbogenfenstern.
»Das weiß ich doch alles.« Gretl nickt. »Das Haus kenn ich doch in- und auswendig. Wie viele Jahre meines Lebens habe ich dort zugebracht. Wenn du erst die Möbel gesehen hättest! Alles aus Eichenholz, mit Schnitzereien reich verziert. Zum Putzen war es eine Plage, immer das Abstauben – und die großen Fenster erst. Später, als der Friedrich sehr reich geworden ist, hatten wir viele Dienstboten und ich hatte die Oberaufsicht. Hab immer aufgepasst, dass die Mädchen das so korrekt machten wie ich. Ja, das Haus ... und die Feste, die der Friedrich dort gegeben hat, mit all den Lichtern ... Sogar der Garten war beleuchtet, ganz raffiniert sah das aus! Schade, dass niemand mehr drin wohnen will.«
Anna fragt sie, ob sie auch glaubt, dass Friedrich den Grunbachern mit dem Haus eins auswischen wollte. »Es ist schon ziemlich protzig«, fügt sie vorsichtig hinzu. Wer weiß, wie sehr Gretls Herz an dem Haus hängt ...
Die aber stimmt ihr zu. »Das hat er mit Absicht so gemacht. Die Grunbacher sollten sehen, wie weit es einer aus der Stadtmühle gebracht hat. Und die Grunbacher haben ihm den Gefallen getan. Vor allem in der ersten Zeit nach dem Einzug sind sie in Scharen vorbeigepilgert, manche ganz verstohlen, viele aber richtig neugierig. Am Tor haben sie gehangen und haben die Nasen durch die Gitterstäbe gedrückt und er stand oben am Fenster und hat sich amüsiert. ›Schau her, Gretl‹, hat er gesagt, ›schau her, da stehen sie und gaffen.‹ Und wenn ein Empfang war und wichtige Leute in ihren großen Autos gekommen sind, da war etwas los! Richtig Spalier haben sie gestanden, die Grunbacher.«
»Dann hat er es also geschafft. Ist ein reicher Mann geworden, so wie er es sich immer vorgestellt hatte!«
»Ja, er hat’s geschafft.« Versonnen schaut Gretl vor sich hin. »Aber es ist ihm auch viel misslungen – heute würde ich sogar sagen, das Wichtigste ist ihm misslungen.« Bedächtig schneidet sich Gretl ihr Butterbrot in kleine Quadrate, spießt sie mit dem Messer auf und führt sie zum Mund. Offensichtlich will sie nicht mehr dazu sagen.
»Und Johannes? Was hat denn Johannes zu dem Haus gesagt? War er jemals drin?«
»Nur einmal. Aber das hat er sicher aufgeschrieben.«
Anna wird nachdenklich. Nur einmal hat Johannes das Haus des Freundes betreten? Es ist etwas passiert zwischen den beiden, ganz sicher! Aber wie ist es überhaupt zu dem Zerwürfnis gekommen?
Gretl spießt das letzte Stückchen Brot auf und fegt dann mit der Hand die Krümel zusammen, die sie sich
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