Beerensommer
ist.
28
In der Nacht machte sich Friedrich gegen zwei Uhr morgens auf den Heimweg. Hedwig hatte zwar schlaftrunken protestiert und ihre Beine um seine Oberschenkel geschlungen, aber er hatte sich frei gemacht und war aus dem warmen Bett gekrochen. Ihre Kammer lag zwar abseits von den Wohnräumen im hinteren Teil der Metzgerei Renner, aber der Meister hatte einen unruhigen Schlaf und Friedrich hatte den Verdacht, dass er selber ein Auge auf sein Dienstmädchen geworfen hatte und deshalb nächtlichen Besuch sehr übellaunig vor die Tür setzen würde. Außerdem dauerte ihm das mit Hedwig schon zu lange, sie sprach von »Eltern besuchen« und Ähnlichem und Friedrich schauderte bei dem Gedanken, er müsse eines Tages in einem der kleinen, bescheidenen Häuschen am Ortsrand auftauchen, wo Hedwigs Eltern und der jüngere Bruder hausten.
Den Kopf rechtzeitig aus der Schlinge ziehen, nannte es Friedrich, Schluss machen, bevor sich irgendwelche unvernünftigen Ideen in den Köpfen der Weiber festsetzten. Sie hatten beide ihren Spaß gehabt und damit basta! Daher hatte er ihr auch heute Nacht sanft ins Ohr geflüstert, in nächster Zeit könne er nicht mehr so oft kommen, er habe viel zu tun. Er schlüpfte leise in seine Kleider und öffnete vorsichtig die Kammertür. Sie rief ihm weinerlich noch etwas nach, aber da war er schon die Treppe hinuntergehuscht, auf Socken und mit angehaltenem Atem, damit keiner von den Bewohnern aufwachte. Außerdem musste er vor Morgengrauen in seinem Bett liegen. Mutter schlief sehr schlecht und hatte sich dummerweise angewöhnt, kurz bevor es hell wurde, in sein Zimmer zu gehen, um ihn rechtzeitig zu wecken; obwohl das nicht notwendig war, wie er immer wieder beteuerte. Aber sie bekam natürlich einiges von seinem Lebenswandel mit, vielleicht war das auch ein Mittel, um seine nächtlichen Ausschweifungen wenigstens etwas einzudämmen.
An der Enzbrücke verharrte Friedrich plötzlich und horchte angestrengt nach unten, wo die Hofer Straße von der Brücke abging. Undurchdringliches Dunkel lag über dem Dorf, nur das leise gurgelnde Wasser der Enz reflektierte das helle Mondlicht, das auf den Wellen zu tanzen schien. Friedrich lauschte weiter in das Dunkel hinein. Kein Zweifel, das waren Schritte, und er meinte sogar den Atem eines Menschen zu hören.
Friedrich war vorsichtig geworden, obwohl seine letzte Auseinandersetzung mit Franz Übele nun schon vier Jahre zurücklag. Noch am selben Tag, an dem er mit Louis Dederer über seinen Verdacht gesprochen hatte, war Übele gekündigt worden, fristlos, wie sich die Leute später erzählten, wegen »Unregelmäßigkeiten«. Am Nachmittag hatte er bei Lisbeth seine Papiere geholt und dann war er noch einmal hinübergegangen zur großen Gattersäge.
»Pass auf, Weckerlin«, hatte er gezischt, »pass auf! Ich weiß, wem ich das verdanke. Pass du auf, oder man findet dich irgendwann mit einem Loch im Schädel oder du liegst in der Enz wie dein Alter.«
Weiter war er nicht gekommen, denn Friedrich hatte ihn gepackt, obwohl er den schweren, armlangen Lederhandschuh des Gatterführers trug, der ihn behinderte. Blind vor Wut hatte er ihn gepackt und er hätte ihn vielleicht sogar gegen die Säge geworfen, wenn nicht einige der Arbeiter hinzugeeilt wären und die beiden Kampfhähne getrennt hätten.
»Pass du selber auf!«, hatte Friedrich geknurrt, hatte Übele nachgespuckt, der sich demonstrativ die Jacke abgeklopft, seinen Hut wieder aufgesetzt und sich dann auf dem Absatz umgedreht hatte.
Seitdem war Friedrich auf der Hut, er hatte den Hass in Übeles Augen gesehen, immer wieder tauchte die ölverschmierte Treppe in seinen Erinnerungen auf und die Arbeiter hatten ihm später oft berichtet, der Übele sitze jeden Tag sinnlos betrunken in den Wirtshäusern und stoße Drohungen gegen den Weckerlin aus. Aber eines Tages war Franz Übele spurlos verschwunden gewesen, kein Mensch wusste, wohin er gegangen war, und der alte Dederer hatte auf Fragen nur mit den Schultern gezuckt.
Immer wieder war es Friedrich vorgekommen, als werde er beobachtet, als folge ihm jemand bei seinen nächtlichen Streifzügen. Er war nie auf jemanden getroffen, manchmal schien es, als spiele ihm lediglich seine Fantasie einen Streich – und dennoch, er war auf der Hut, auch in dieser Nacht!
Aber es war nicht Franz Übele, der ihm auflauerte. Als die Schritte näher kamen, konnte Friedrich plötzlich die wohl vertraute Silhouette seines besten Freundes
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