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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Hoffentlich schleifte er sie nicht gleich hinauf in den Wald und begann von seiner Malerei zu erzählen oder ihr gar aus dem Buch vorzulesen. Weiber wollten so etwas nicht, sie wollten ihren Spaß haben, gerade in diesen harten Zeiten. Hoffentlich kapierte er das rechtzeitig.
    Als er sich vorsichtig im Dunkeln auszog, dachte er flüchtig daran, dass der Gottlob Kusterer bald in Rente gehen würde. Dederer hatte neulich so etwas angedeutet und es war völlig klar, wer die Stelle als Vorarbeiter dann bekommen würde. Es würde ein guter Sommer werden, trotz allem – der Politik und der Not der Leute und ihrer Sorgen um das Geld, das immer weniger wert wurde. Ein guter Sommer, ein gutes Jahr für ihn, davon war Friedrich fest überzeugt; und das Lächeln blieb auf seinem Gesicht, als er in einen tiefen, traumlosen Schlaf glitt.

29
     
    Gretl liegt schlaflos im Bett, gerade hat die Glocke des Grunbacher Kirchturms zwei Uhr geschlagen. Sie richtet sich schnaufend auf und greift hinüber zu dem großen, altertümlichen Wecker. Im Schein des Mondlichts versucht sie die Stellung der Zeiger auszumachen. Tatsächlich, es ist erst zwei Uhr. Man verliert das Gefühl für die Zeit, wenn man im Bett liegt und auf den Schlaf wartet, der nicht kommen will, und dabei den unruhigen, stolpernden Schlag des Herzens im ganzen Körper spürt.
    Es geht ihr nicht gut, seit das Mädchen, Anna, da ist. Sie verbirgt es sorgfältig vor ihr, auch vor Christine und Richard und dem Jungen, obwohl Richard noch am letzten Abend besorgt gefragt hat, ob es ihr denn nicht zu viel werde, so tief in die Vergangenheit einzutauchen und die alten Sachen aufzurühren. Sie hat abgewehrt und lächelnd gemeint, die Abwechslung täte ihr gut, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich stürmt so vieles auf sie ein, dass sie gar keine Ruhe mehr findet, das alte, kranke Herz gerät immer öfter aus dem Takt und immer öfter muss sie zu den Fläschchen mit den Herztropfen greifen.
    Die Bilder, die Erinnerungen sind wiedergekommen, sogar vieles, von dem sie geglaubt hat, es sei für immer in die Tiefen des Vergessens abgesunken. Das Mädchen stellt Fragen, verständlicherweise viele Fragen, und dann sind da die Hefte, in denen sie unentwegt liest, und sie, Gretl, weiß doch nicht, was Johannes da alles aufgeschrieben hat, auch das bereitet ihr Sorgen.
    Ist es eigentlich normal, dass ein junges Mädchen sich hier verkriecht und dauernd in alten Erinnerungen kramt? Aber sicherlich hängt das mit dem Tod ihrer Mutter zusammen, ihrem langen Sterben, das sie miterleben musste, das hat sie sicher verändert. Und Anna ist einsam, manchmal kommt sie Gretl ganz verloren vor. Sie ist ein gutes Mädchen, das hat sie gleich bei der ersten Begegnung gespürt, beim Blick in diese Augen, diese Johannes-Augen. Trotzdem wünscht sie manchmal, Anna wäre nicht gekommen!
    Heute Abend hat der Junge sie mitgenommen in eines dieser modernen Lokale nach Pforzheim, unter denen sie sich nichts vorstellen kann. Anna müsse einmal herauskommen und sich nicht allzu sehr in der Vergangenheit vergraben, hat Richard gemeint. Erst hat Anna gar nicht gewollt, hat sogar Gretl gefragt, ob sie sie allein lassen kann, was doch eigentlich lachhaft war. »Ich bin schon seit vielen Jahren meistens allein«, hat sie ihr geantwortet, »es macht mir nichts aus«, und sie ist geradezu froh gewesen, als sich die Tür hinter Anna und dem Jungen schloss. Aber dann wurde es sogar noch schlimmer, die Geister der Vergangenheit kamen über sie, als hätte man den Stöpsel aus einer Flasche gezogen, in der sie gefangen gehalten wurden. Sie ist inzwischen bei der Sache mit Marie angekommen, wie es anfing, damals mit ihr und Johannes, das merkt Gretl an den Fragen, die Anna jetzt an sie richtet.
    »Wie war sie denn, meine Urgroßmutter, was war sie für ein Mensch? War sie schön? Hast du etwas gemerkt, damals ...?«
    Natürlich hat sie etwas gemerkt. Johannes ist in jenem Sommer verändert gewesen, er schaute öfter noch als sonst inwendig, hatte den Kopf in den Wolken, wie Friedrich immer zu sagen pflegte, und dabei lag immer dieses merkwürdige Lächeln auf seinem Gesicht, als erinnere er sich an etwas besonders Schönes. Sie hatte erst nicht verstanden, was mit ihm geschehen war, sich nur gefreut, dass es ihm gut ging. Aber dann hatte die Mutter einmal abends beim Abspülen in der Küche plötzlich gesagt, dass Johannes wohl ein Mädchen habe. Sie hatte widersprochen, das sei doch unmöglich – irgendwie

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