Beerensommer
Willen? Geh heute Nachmittag zu ihm hinüber, wenn der Doktor bei ihm war. Nach dem Mittagsschlaf geht es ihm meistens etwas besser.«
Und so war er gekommen, saß jetzt hier an diesem Bett und grübelte darüber nach, was dem alten Dederer so wichtig war. Es ging ihm wohl um das Sägewerk, aber alles lief wie geschmiert, das konnte er sich doch denken. Alles ging prächtig, seit Friedrich Weckerlin Vorarbeiter im Sägewerk Louis Dederer & Söhne war. Und jetzt diese Bemerkung ...
Louis Dederer beobachtete ihn, beobachtete ihn aus dem rechten offenen Auge und lächelte immer noch. Plötzlich sagte er in die bedrückte Stille hinein: »Sie mag dich.«
Er sagte das merkwürdig klar und deutlich. Friedrich fuhr auf. Diesen Satz hatte er schon einmal gehört. Schlagartig war ihm klar, was Louis Dederer von ihm wollte! Er hatte es doch geahnt, hatte die Vermutung niedergekämpft und dabei war es doch genau das, was er immer schon gewollt hatte, obwohl er es kaum zu denken gewagt hatte; aber es war doch immer da gewesen, von Anfang an. Die »Möglichkeiten« – das Sägewerk, das Haus, die Wälder –, und das hieß Lisbeth!
Lisbeth, die ihn verfolgte mit ihren Blicken, Lisbeth, die ihnen geholfen hatte in diesem Sommer 1918, die sie durchgefüttert hatte, im wahrsten Sinn des Wortes, und Emma wahrscheinlich vor dem Tod bewahrt hatte. Lisbeth, die ihn liebte, auf diese bittere, demütige Art liebte, sodass er sich ihrer immer sicher war. Lachend in fremde Betten schlüpfen konnte ... Lisbeth blieb und würde auf ihn warten. Und jetzt war es so weit. Der Alte wollte sein Erbe bestellen und den größten Wunsch seiner Tochter erfüllen.
»Fürs Sägewerk bist du gut«, hatte er damals gesagt. Und er würde ihm sicher gleich die Zusicherung abringen, Lisbeth nicht unglücklich zu machen und mit den Weibergeschichten aufzuhören.
Lisbeth ... Noch vor einem Jahr hätte er ohne nachzudenken zugestimmt, hätte sich am Ziel all seiner Wünsche gewähnt. Aber jetzt schob sich etwas anderes vor die verlockenden Bilder von Sägewerk und Wäldern, schob sich vor Lisbeths bleiches Gesicht mit den Glubschaugen und denexakt frisierten Löckchen. Es war ein anderes Gesicht, eines, das ihn schon beim ersten Anblick magisch angezogen hatte. Ein schönes Gesicht mit braunen Augen, heller als die seinen, und Haaren, die die Farbe reifer Kastanien hatten und die rötlich schimmerten, wenn die Sonne ihnen Lichter aufsetzte. Haare, in die er sein Gesicht wühlte, um ihren Duft ganz auszukosten.
Maries Gesicht stand in aller Deutlichkeit vor ihm, verlangte Rechenschaft. Marie, mit der es anders war als mit all den anderen.
Unwillkürlich seufzte er tief auf und die nächsten Sätze drangen nur mit Verzögerung in sein Bewusstsein. Louis Dederer sprach langsam, aber erstaunlich deutlich, es war fast, als habe er diese Worte schon oft heimlich gesprochen, habe sie gleichsam geübt.
»Sie mag dich und sie soll dich haben. Das mit den Weibern hört natürlich auf. Hast dir die Hörner abstoßen müssen, das verstehe ich. Aber du machst sie nicht unglücklich, hörst du! Und fürs Sägewerk bist du gut. Bist der Beste.«
»Sie soll dich haben ...«, dröhnte es förmlich in Friedrichs Kopf. Jetzt war er am Ziel seiner Wünsche!
Aber da war Marie – was für ein Witz, was für ein schlechter Witz!
Und dann gab es noch einen anderen Gedanken, einen schlimmen Gedanken, einen, den er in den letzten Monaten mit aller Macht von sich fern gehalten hatte: Johannes!
»Wir müssen es ihm sagen«, hatte Marie ihn bei den letzten Treffen immer wieder bedrängt. »Es ist nicht recht, dass wir ihn belügen. Ich schäme mich so. Wir müssen es ihm sagen ... Es wird erst wehtun, aber er wird es schon verstehen, nach einiger Zeit, er liebt uns doch beide!«
Wie man es drehte und wendete, es half nichts, er hatte seinen besten Freund betrogen. Er hatte dieser unseligen Leidenschaft nachgegeben, diesem Rausch.
»Leben, Johannes, jetzt werden wir das Leben genießen«, hatte er immer wieder zu ihm gesagt und ihm dabei lachend auf die Schulter geklopft, »alles wird nun besser.«
Leben wollte er mit allen Sinnen, allen Fasern des Körpers, und da war eben auch Marie gewesen.
Unwillkürlich blickte Friedrich hinunter auf seine Schuhe. Es waren feste, lederne Schuhe mit Eisenkappen, seine Arbeitsschuhe, ähnlich denen, die Louis Dederer damals für ihn gekauft hatte. Er hatte sie vorhin an der Eingangstür unter dem misstrauischen Blick von Frau Kiefer
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