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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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so etwas Schönes?«
    »Wenn du einmal heiratest, mache ich dir auch eine solche Kassette, fest versprochen. Und wenn du willst, male ich dir auch den Taugenichts auf den Deckel.«
    Ihm war unbehaglich zu Mute. Mit einer solch heftigen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Er hatte gewusst, dass sie eifersüchtig war, dass sie ihn immer noch als ihren ausschließlichen Besitz betrachtete, ihren Johannes. Wirklich eine typische Weckerlin, dachte er, genau wie Fritz, stur, starrköpfig und leidenschaftlich. Trotzdem, Johannes war beunruhigt. In ihm stieg wieder diese merkwürdige Ahnung auf. Vielleicht steckten hinter Emmas Reaktion mehr als nur Besitzanspruch und Eifersucht?
    »So einen Kasten wollte ich jetzt gar nicht mehr.« Ihre Finger glitten ziellos über die Ränder der Kassette, über die zierlichen Figürchen auf dem blauen Untergrund. Figürchen aus Silber, die er alle mühsam ausgesägt hatte. Eine schwere Arbeit war das gewesen! Noch die winzigsten Löckchen und Schleifen, Hände und Schuhe hatte er genau ausgeschnitten, sodass alles bis ins kleinste Detail perfekt abgebildet war.
    Herr Wackernagel wäre stolz auf ihn gewesen, denn er hatte sich Zeit genommen, hatte mit unendlicher Geduld gearbeitet. Leider konnte er ihm die Kassette nicht mehr zeigen, er war kürzlich in den Ruhestand gekommen und im letzten Jahr plötzlich gestorben. Es war schnell gegangen, Herzschlag, hatte man sich im Betrieb erzählt, kurz nach dem Aufstehen einfach umgefallen. Ein schöner Tod, hatte der Pfarrer am Grab gesagt, und Johannes, der den Tod in so vielfältiger Gestalt gesehen hatte, konnte ihm sogar zustimmen. Auch dem Herrn Caspar konnte er die Kassette nicht mehr zeigen. Er war gleich nach Kriegsende an einem Gehirnschlag gestorben, einem »Schlägle«, wie die Leute hier verharmlosend und verniedlichend das Ereignis umschrieben. Aber er hatte immerhin noch erleben dürfen, dass sein Geld für die Fahrkarten nach Pforzheim gut angelegt gewesen war.
    Nun waren sie tot, die beiden Männer, die in seinem Leben so wichtig gewesen waren, jeder auf seine Art. Manchmal dachte er, dass sie die neue Zeit nicht mehr ertragen hatten, das Zusammenbrechen einer Ordnung, die ihnen geradezu naturgegeben erschienen war, wo alles und jeder seinen unverrückbaren Platz hatte.
    Er riss sich von seinen Erinnerungen los und wandte sich wieder der Gegenwart zu und damit dem schlaksigen Mädchen mit blauen Zopfschleifen, die ihn aus grünlich schimmernden Augen immer noch verdrossen anblickte.
    »Jetzt sei nicht kindisch!« Er merkte, wie er langsam die Geduld verlor. »Ich hab gedacht, du freust dich mit mir.«
    »Sie hat dich gar nicht verdient.« Diese Worte schleuderte sie ihm wie eine Kampfansage entgegen.
    »Du kennst Marie doch gar nicht richtig.« Er bemühte sich, gelassen und ruhig zu klingen. Schließlich wollte er diesen Kindskopf nicht noch mehr reizen.
    »Ich weiß genug über sie, mehr als genug. Sie ist ...«
    Plötzlich verstummte Emma. Sie war rot geworden. Eine feine Röte zog sich vom Haaransatz bis hinunter zum Hals.
    Johannes kam es auf einmal so vor, als stehe er an einem steilen Abgrund, aber er ging dennoch ruhig weiter, jeden Moment den Sturz ins Bodenlose erwartend. »Was ist sie? Du weißt etwas, Emma, los, sag’s mir! Was weißt du über Marie?« Er packte ihren Arm so heftig, dass sie empört aufschrie.
    »Lass mich los, du tust mir weh!«
    Er schleuderte ihren Arm von sich, als sei er ein giftiges Reptil, dann ließ er sich schwer atmend auf den Küchenstuhl fallen.
    »Emma, rede! Du hast damit angefangen, jetzt bringst du es auch zu Ende!«
    Sie starrte ihn an. »Ich hab Angst, Johannes. So kenne ich dich gar nicht. Versprich mir, dass du nichts Dummes machst.«
    »Herrgott noch mal, spann mich nicht auf die Folter!« Er hieb mit der Faust auf den Tisch, dass es dröhnte. Der Roman fiel auf den Boden, blieb auf umgeknickten Blättern liegen. Ein Johannes kam auch darin vor, ein Johannes, genauso ein Trottel, der liebte.
    »Sie treffen sich heimlich. Den ganzen Sommer geht es schon. Ich bin ihnen ein paarmal nachgeschlichen. Sie sind zur alten Fichtenschonung gegangen, unterhalb des Katzenbuckels. Dort, wo niemand hingeht, weil es so dunkel und unheimlich ist. Außerdem kommt man kaum durch das Gestrüpp.«
    Sie stieß die Worte hervor, immer schneller werdend, bis sich ihre Stimme fast überschlug. Wie begierig sie zu sein schien, endlich die Wahrheit loszuwerden. Die Wahrheit – aber welche Wahrheit war es

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