Beerensommer
sorgfältig gesäubert. In Baden-Baden gab es Schuhmacher, die Schuhe speziell nach Maß anfertigten. Der Herr Zinser trug solche Schuhe und wohl auch der Herr Direktor Tournier. Schuhe nach Maß, handgearbeitet, nur für sie, aus feinstem weichen Leder.
Er merkte, dass der Blick des Alten auf ihm ruhte. Das lebendige rechte Auge stierte ihn unverwandt an.
»Hab nicht gedacht, dass du so lange überlegen musst«, presste der alte Dederer lauernd hervor. »Oder ist an deinen Weibergeschichten mehr dran?«
»Nein, nein, Herr Dederer«, wehrte Friedrich hastig ab. »Es ist nur so ... Ich bin ... Es kam so unerwartet. Und ich hatte nicht gehofft ... Ich meine, ich fühle mich geehrt ...«
»Ach was«, der Alte schnitt ihm das Wort ab und fuchtelte mit der Rechten ungeduldig umher. »Du weißt genau, was du willst, hast es immer schon gewusst. In den nächsten Tagen redest du mit Lisbeth, wirst das Richtige sagen. Bist ja ein alter Pousseur. Dann kommt ihr zu mir und wir feiern Verlobung. Sobald es mir besser geht, wird geheiratet. Und jetzt geh, ich bin müde.« Wie zur Bestätigung drückte er seinen Kopf tief in die Kissen. Der rechte Arm ruhte wieder genauso leblos auf der Decke wie die gelähmte Linke.
Friedrich stand auf und stellte den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, an die Wand zurück. Langsam ging er zur Tür. Er atmete tief durch. Er hatte soeben eine Entscheidung getroffen, die richtige, die einzig richtige. Mit Marie, nun, das würde schwer werden. Sie würde weinen, toben, verzweifelt sein. Aber das ging vorüber. Er musste ihr sagen, er habe sich geirrt, musste sagen, er liebe sie nicht mehr. Und da war ja noch Johannes, zu dem sie zurückgehen konnte; Johannes, der sie liebte und bei dem sie gut aufgehoben war, besser als bei ihm. Er konnte für nichts garantieren, das würde er ihr sagen, und vor allem, dass Johannes nichts davon erfahren durfte. Auf gar keinen Fall!
Schon die Hand an der Klinke, hörte er hinter sich noch einmal Louis Dederers Stimme: »Und eines sage ich dir – mach sie nicht unglücklich! Wirst mit den Weibern nicht aufhören – ich kenne eure Sorte. Aber Lisbeth darf nichts davon merken. Und du machst sie mir nicht unglücklich, sonst ...«
Die letzten Worte gingen in einem gurgelnden Kichern unter und Friedrich drehte sich erschrocken um.
Louis Dederer hatte sich mit letzter Kraft noch einmal aufgerichtet. Auf den eingefallenen Wangen bildeten sich kreisrote Flecken, er schien noch einmal alle Kraft zusammenzunehmen und setzte den Satz fort: » ... sonst wird dich mein Fluch verfolgen, Friedrich Weckerlin, ja, mein Fluch. Geld wird einer wie du immer haben, du gehst deinen Weg – aber wenn du meine Lisbeth unglücklich machst, dann sollst du auch nicht glücklich sein, in keiner Stunde, in keiner Minute deines verdammten Lebens!«
Aufstöhnend sank der alte Dederer zurück. Als Friedrich noch einmal an das Bett trat, drehte er mit geschlossenen Augen den Kopf zur Tür. Friedrich verstand – er sollte gehen.
Leise schloss er die Tür hinter sich und blieb für einen kurzen Moment im Flur des oberen Stockwerks stehen. Teure Tapeten, gute, solide Eichenmöbel, und die Treppe, die nach unten führte, war mit einem dicken, roten Teppich bespannt.
Das gehörte bald alles ihm! Langsam ging er hinunter, der Läufer verschluckte seine Schritte. Närrischer Alter! Einen Fluch hatte er ausgesprochen, als ob das in seiner Macht läge. Einer wie er, Friedrich Weckerlin, machte sein Glück ganz alleine.
32
Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, ein Auge spähte heraus und man konnte ein hellbraunes Zopfende erkennen, auf dem eifrig gekaut wurde. Plötzlich aber flog die Tür auf und die Besitzerin des Zopfes hing an Johannes’ Hals. Er legte den Arm um sie und drückte sie kurz an sich. Groß war sie geworden, die kleine Emma Weckerlin, und durch die dünne Bluse konnte man schon die sanft sich wölbenden Brüste erkennen. Eine hübsche Frau würde sie einmal werden, das stand fest. Ihrer Mutter war sie wie aus dem Gesicht geschnitten und der energische Zug dort um den Mund, der erinnerte an Friedrich. Eine richtige Weckerlin war sie, voller Energie und Temperament. Sie zog ihn am Ärmel in die Küche herein, wo ein quer über dem Schulheft liegendes, aufgeschlagenes Buch verriet, dass er sie bei der Lektüre gestört hatte.
»Das Geheimnis der alten Mamsell. Von Eugenie Marlitt«, las Johannes und drohte gespielt streng mit dem Zeigefinger. »Ist das etwas für ein
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