Beerensommer
junges Mädchen? Was werden wohl deine Mutter und Friedrich dazu sagen? Wo hast du den Schinken eigentlich her?«
»Ausgeliehen«, beschied sie ihm kurz und knapp. »Von Anneliese Kiefer. Ihre Mutter hat den ganzen Schrank voll von Romanen. Und außerdem bin ich kein kleines Mädchen mehr.«
»Höchstens eine ausgewachsene Nervensäge.« Er wehrte lachend ihre Knüffe und Hiebe ab. »Wo sind denn deine Mutter und Friedrich?«
»Mama ist auf dem Friedhof. Blumen gießen. Und Friedrich ...« Ihre Augen schillerten plötzlich, es lag etwas Rätselhaftes in ihrem Blick, den sie ihm von der Seite zuwarf.
Sie ist schon fast eine richtige Frau, dachte er belustigt. Ein kleines Biest, mit allen Wassern gewaschen. Was hat dieser Blick wohl zu bedeuten? Irgendetwas führt sie im Schilde. Aber was?
»Und Friedrich ist im Wald«, setzte sie nach kurzem Zögern hinzu, sichtlich bemüht, harmlos zu klingen. Zu bemüht, wie Johannes fand.
»Friedrich im Wald? Was macht er denn da? Er wird doch nicht auf einmal wieder in die Beeren gegangen sein?«
»Das nicht.« Emma senkte ihre Lider, die langen, dunkelbraunen Wimpern flatterten und warfen kleine, irrlichternde Schatten auf ihr Gesicht. Sie ging nicht weiter darauf ein, sondern erzählte ihm, dass sie eigentlich heute Mittag auf den Katzenbuckel gewollt hatte.
»Aber Gretl hat nicht mitgedurft. Sie muss ihrer Mutter heute in der Küche im ›Anker‹ helfen. Dort ist eine große Hochzeit und Lene spült. Allein darf ich doch nicht und Friedrich hat gesagt, ich muss sowieso meine Hausaufgaben machen, weil ich nächstes Jahr auf diese blöde Handelsschule soll. Ich sei zu faul, sagt er immer.«
Johannes musste lachen. »Ja, wenn du statt der Rechenaufgaben solche schwülstigen Liebesromane liest ...«
»Der ist nicht schwülstig. Außerdem kommt dort auch ein Johannes vor. Der braucht sehr lange, bis er merkt, dass er verliebt ist. Männer sind so dumm.«
Wieder warf sie ihm einen dieser rätselhaften Blicke zu. Johannes beschloss, nicht näher darauf einzugehen. Kleine Hexe, dachte er amüsiert. Da wird Fritz noch viel zu tun bekommen. »Darf ich hier warten?«, fragte er.
Emma nickte schnell und räumte ihre Schultasche weg, damit er neben ihr Platz nehmen konnte.
»Mutter wird gleich wieder hier sein – und Fritz ...« Wieder das kurze, demonstrative Zögern. »Er hat gesagt, dass du heute bestimmt wieder Überstunden machst und erst spät am Abend kommst.«
»Heute nicht, ich bin fertig. Schau mal, das wollte ich euch zeigen. Er legte den Gegenstand, den er unter dem Arm getragen hatte, auf den Küchentisch und schlug feierlich das graue Tuch zurück, in das er eingehüllt war. »Heute bin ich endlich fertig geworden. Was sagst du?«
In der einfachen Küche der Weckerlins funkelte und glitzerte es plötzlich. Die Strahlen der Abendsonne glitten wie Finger über die Kassette und ließen sie aufleuchten.
Emma stand verzückt da und strich nach einem Moment andächtigen Staunens vorsichtig über den schimmernden Emailledeckel. »Wunderschön, Johannes«, flüsterte sie. »Und das hast du gemacht? Und den Taugenichts hast du gemalt, mit der Geige ...?«
Johannes nickte lächelnd. Wie oft war sie ihm am Abend entgegengerannt, wenn er von der Schule oder später von der Arbeit heimgekommen war. »Johannes, eine Geschichte!«, hatte sie gerufen und hatte wie ein kleines Äffchen an seinem Rücken gehangen. Er war ihr ganz besonderer Liebling gewesen. Schon als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war und ihn »Annes« gerufen hatte. Er war immer »ihr« Johannes gewesen und die Geschichte vom Taugenichts war ihre Geschichte gewesen. Sie kannte sie bestimmt auswendig, so oft, wie er sie vorgelesen hatte.
»Und für wen hast du das gemacht?« Sie schaute ihn nicht an. Die schmalen Finger streichelten immer noch das Emaillebild auf dem Deckel der Kassette.
»Das kannst du dir doch denken. Marie hat morgen Geburtstag. Und wenn alles gut geht, kannst du mir morgen ebenfalls Glück wünschen. Ich will Marie nämlich fragen, ob sie meine Frau werden will.«
Abrupt hob Emma den Kopf und sah ihn an. Die großen braunen Augen schillerten plötzlich grünlich. »Glück wünschen«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »ich soll dir Glück wünschen?«
Johannes legte den Arm um sie und drückte sie kurz. Erschrocken bemerkte er, dass sie zitterte!
»Glück wünschen«, stieß sie noch einmal hervor und wand sich aus seinem Arm. »Und für die machst du
Weitere Kostenlose Bücher