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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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denn? Er fragte nach und wusste doch schon die Antwort.
    »Mit wem trifft sich Marie dort?«
    »Mit Fritz natürlich. Was denkst du denn? Beim ersten Mal bin ich ihm nachgegangen, weil ich mich gewundert habe, was er im Wald will. Er hat doch nichts mehr mit Beerenpflücken im Sinn. Mein großer Bruder geht in den Wald, hab ich mir gedacht, ganz heimlich, still und leise geht er in den Wald – da bin ich ihm nachgeschlichen. Er hat nichts gemerkt. Sie haben sich getroffen und ... nun ja, geküsst und ...« Sie hatte eines der Zopfenden genommen und kaute verbissen darauf herum.
    Weiter, dachte Johannes, sprich doch weiter, noch mehr davon, jedes Wort ein Dolchstoß in mein Herz.
    Emma hatte wohl beschlossen, dass es genug sei. »Kannst es dir doch denken. Ich bin dann gleich weggerannt. Wenn er mich erwischt hätte! Grün und blau hätte er mich geschlagen. Ich hab’s niemandem erzählt, nicht einmal der Gretl. Die Marie ... sie ist ... ist fast wie eine, die die Lene einmal gewesen war. Und deshalb hat sie dich nicht verdient und den Kasten auch nicht.«
    »Warum hat sie mir nichts gesagt? Sie hätte mir doch sagen können, dass sie sich in Fritz verliebt hat! Und er ...« Johannes hatte mehr zu sich selbst gesprochen, er bemerkte gar nicht, dass er die Worte laut gesagt hatte.
    Aber sie schien sich angesprochen zu fühlen. Sie setzte sich auf den Stuhl, ihm gegenüber, und tippte sich an die Stirn: »Der Fritz und sich verlieben ... Der mit seinen Weibern! Die Mutter redet ihm immer wieder ins Gewissen. Aber er lacht nur. Und außerdem wird er Lisbeth Dederer heiraten. Ich hab vorhin ein Gespräch belauscht. Er hat’s der Mutter gesagt. Und ich glaube, dass er mit der Marie Schluss macht. Aber ich an deiner Stelle würde sie nicht mehr nehmen.«
    Johannes starrte sie an, aber er sah nicht Emma und nicht die Schmuckkassette, er sah Friedrich und Marie vor sich, ihre gespielte Antipathie, die abgewandten, ausweichenden Blicke, hörte sie übereinander sagen: »Ich kann deinen Freund nicht leiden, Johannes.« – »Ganz nett die Kleine, aber zu sanft für meinen Geschmack.«
    Alles Lug und Trug!
    Jeder andere hätte es sein können, es hätte wehgetan, aber nicht so höllisch geschmerzt wie dieser Betrug. Er ballte seine Hände zu Fäusten. Was hatte sich Friedrich nur dabei gedacht?
    Marie war zuzubilligen, dass sie sich eben in ihn verliebt hatte, warum gerade sie nicht? Aber Fritz ... er musste doch gewusst haben, wie ernst es ihm war. Warum nur? Dieser verfluchte Weckerlin-Hochmut, diese verfluchte Gier, diese krankhafte Angst, etwas zu verpassen, dieses gottverdammte Ausschöpfen aller Möglichkeiten.
    Und was blieb am Ende?
    Als Nächstes kam Lisbeth Dederer, ein neues Opfer, aber er hatte es geschafft. Jetzt gehörten ihm das Sägewerk, das Haus und die Wälder. Einmal, als sie noch miteinander in die Beeren gegangen waren, hatte ihm Fritz geradezu andächtig erzählt, die Gemarkung Katzenbuckel gehöre auch zu den Dederer-Wäldern. Er könne das gar nicht glauben, hatte Johannes damals erstaunt geantwortet. So etwas könne doch niemandem gehören!
    Er sprang so abrupt auf, dass der Stuhl nach hinten kippte. Dann riss er Emma die Schmuckkassette aus den Händen, wickelte sie schnell in das Tuch und stürzte aus der Küche.
    »Johannes, Johannes!«, hörte er hinter sich Emma angstvoll rufen. »Wo willst du denn hin? Johannes, bleib doch!«
    Die letzten Worte verhallten im Treppenhaus, als er die knarrenden Stiegen hinunterrannte. Er rannte und rannte, rannte weiter, ohne stehen zu bleiben und Atem zu holen. Die Schmuckkassette hatte er fest an sich gedrückt, sie behinderte ihn beim Laufen, trotzdem rannte er vorwärts, merkte erst nach einer Weile, dass er den schmalen Trampelpfad eingeschlagen hatte, der steil hinauf zum Katzenbuckel führte. Wie oft waren sie früher diesen Weg gegangen! Er spürte stechende Schmerzen in der Brust und hörte sein rasselndes Keuchen vermengt mit heiseren Schluchzern. Es schien ihm, als liefe er neben sich.
    Wer war denn der Mann, der weinte, in lang gezogenen Seufzern weinte, nach Atem rang und den Schmerzen davonlaufen wollte? Was wollte der Mann da oben? Wollte er Rache? Wollte er sie zwingen ihm ins Gesicht zu sehen? Oder wollte er die Qual bis zum Letzten auskosten und sie beobachten, Friedrich und Marie, die beiden Menschen, die er liebte?
    Er kam auf der Ebene an, dort kreuzten sich die Wege, links ging es zum Katzenbuckel, rechts führte ein schmaler Pfad wieder ein

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