Beerensommer
Stuttgart anfertigen lassen, bei einem berühmten und teuren Schneider. Und der »Anker« sei den Dederers auch nicht vornehm genug, das »Badhotel« in Wildbad müsse es sein. Was das koste, ausgerechnet in diesen schlechten Zeiten. Und so schnell auf die Verlobung gleich die Hochzeit, na, der alte Dederer habe es wohl eilig, so schlecht, wie er beisammen sei. Aber für die Weckerlins sei es doch ein großes Glück und er sei ganz sicher auch eingeladen bei der Hochzeit, als bester Freund des Bräutigams. Da müsse er ihr hinterher aber alles erzählen ...
Johannes ließ dieses dahinplätschernde Gerede teilnahmslos über sich ergehen und wich auch den aufdringlichen Fragen aus, warum sich der Herr Weckerlin denn gar nicht mehr blicken lasse.
Emma hatte ein paarmal vorbeigeschaut, hatte ihn weinend beschworen, sie wieder zu besuchen, auch die Mutter sei so traurig. Fritz sei noch nicht dahintergekommen, dass sie, Emma, von seinem Verhältnis zu Marie gewusst und es Johannes erzählt hatte. Vielleicht glaubte er, es sei damals reiner Zufall gewesen, dass Johannes sie entdeckt hatte. Die Mutter könne sich gar nicht erklären, was passiert sei.
Eines Tages hatte Emma eine Einladung gebracht. Auf feinstem Büttenpapier gedruckt hatte Herr Louis Dederer die Hochzeit seiner geliebten Tochter Elisabeth mit Herrn Friedrich Weckerlin angezeigt. Diese Einladung hatte Johannes vor Emmas Augen zerrissen, die daraufhin wieder haltlos zu weinen begonnen hatte. »Dann gehe ich auch nicht«, verkündete sie schluchzend, hatte schließlich aber doch die Schneiderin aufgesucht, um sich das neue Kleid anmessen zu lassen.
An diesem Samstag, dem Tag der Hochzeit, dröhnten vormittags gegen elf Uhr die Glocken vom Turm der Grunbacher Kirche. Es kam Johannes so vor, als seien sie heute besonders laut, füllten das ganze Tal mit ihrem Klang, dem sich niemand entziehen konnte. Friedrichs großer Tag war da. Jetzt hatte er es geschafft, war oben angekommen. Johannes hatte schon seit Tagen im Bett gelegen, hohes Fieber hatte er gehabt und immer wieder krampfartige Hustenanfälle, die seinen Körper schüttelten. Die Witwe, die ihn mit heißem Tee und klein geschnittenen Brotwürfeln versorgte, hatte gestern Abend sehr bedenklich dreingeschaut.
»Das gefällt mir aber gar nicht. Soll ich nicht doch den Doktor holen? Ganz blass und schmal sind Sie geworden. Sie essen ja auch gar nichts mehr.«
Johannes hatte abgewehrt. Es tue ihm nur leid wegen Eugen, der immer wieder durch sein Husten geweckt würde. Gestern Abend war er überhaupt nicht mehr heimgekommen, wahrscheinlich war er bei seiner Hilde geblieben. Diese Vermutung teilte die Witwe Bott in missbilligendem Ton mit. Ihre Besorgnis war allerdings stark von Neugierde durchtränkt. Dass es mit ihrem Untermieter und dem Weckerlin irgendetwas gegeben hatte, war ihr in der Zwischenzeit wohl klar geworden. Im Dorf munkelte man etwas von Streitereien wegen einer Frau. Sie hatte versucht, noch mehr aus Eugen herauszuquetschen, aber der hatte scheinbar nicht allzu viel erzählt, worüber Johannes sehr froh war.
Als sie gestern Abend versucht hatte das Gespräch auf die bevorstehende Hochzeit zu bringen, drehte Johannes einfach seinen Kopf zur Wand, als Zeichen, dass er an einer Fortsetzung der Unterhaltung nicht interessiert sei. Sie war dann beleidigt aus dem Zimmer gerauscht, Tee und Weißbrotwürfel hatten doch nichts geholfen.
An diesem Samstag fürchtete Johannes ein weiteres Verhör, sie hatte schon angekündigt, dass sie gleich nach ihm sehen werde. Und jetzt war da noch dieses Läuten, dieses unerträgliche Läuten der Glocken. Er kroch aus dem Bett, hielt sich am Bettpfosten fest, weil ihm schwindlig wurde, aber irgendwie schaffte er es, in seine Kleider zu schlüpfen. Auf Zehenspitzen schlich er die Treppe hinunter, vorbei an der halb geöffneten Küchentür.
Er musste hinaus, weg von den Glocken, weg vom Geschwätz der Witwe! Hinauf in den Wald wollte er, die frische Luft würde ihm gut tun, vielleicht sogar ein wenig die düsteren Gedanken vertreiben, die wie Mühlsteine auf seiner Seele lasteten. Auf der Wildbader Straße war es ruhig. Wahrscheinlich stand das halbe Dorf, alle, die nicht arbeiten mussten, vorne an der Enzbrücke, säumte den Weg hinauf zur Kirche, den die Hochzeitsgesellschaft jetzt nahm. Vom Dederer-Haus zogen sie hinauf, vorneweg das Brautpaar. Er sah Friedrich vor sich, stattlich und stolz in seinem neuen Frack, an seinem Arm Lisbeth, lächelnd in weißen
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