Beerensommer
sah Friedrich Weckerlin ähnlich, er glich ihm auf eine geradezu unheimliche Art und Weise! Manchmal schien es Johannes, als habe sich irgendjemand einen besonders schlechten Scherz erlaubt.
Der Junge sah ihn an mit Friedrichs Augen, hatte seine Haare, seinen Mund, mehr noch, es war etwas in ihm, das an Friedrich erinnerte – der Junge war starrsinnig, ein »Dickkopf«, wie seine Schwiegermutter meinte. Und wenn er das Köpfchen verachtungsvoll wegwandte, weil er etwas nicht mochte, sah Johannes mit Betroffenheit Friedrich vor sich. Das Schlimmste aber war, dass der Junge ihn liebte! Hörte er seine Schritte, seine Stimme, krabbelte er ihm aufgeregt entgegen, später wackelte er auf seinen kurzen Beinchen zu ihm hin, ein glückliches Lächeln auf den Lippen, und das erste Wort, das er sagen konnte, war »Papa« gewesen.
Johannes bemühte sich so sehr, er zwang und quälte sich, dieses Kind zu lieben. Vor allem, weil er Maries angstvollen Blick sah, wenn er dazukam, wie sie den Jungen liebkoste, ihn kitzelnd zum Lachen brachte und Johannes dabei scheu von der Seite ansah ... Manchmal erschrak er über sich selbst. Wenn das Kind auf ihn zukam und die Ärmchen nach ihm ausstreckte, dann hätte er es am liebsten weggestoßen – um nicht in diese Augen schauen müssen, Friedrichs Augen – und manchmal hätte er Marie am liebsten weggerissen von ihrem Kind! In solchen Momenten stürmte er hinauf auf den Katzenbuckel, den ganzen steilen Weg jagte er hinauf, um sich diesen Zorn und diese Wut aus dem Leib zu rennen, vor allem aber dieses Entsetzen über sich selbst!
Oben versuchte er oft zu malen, aber er brachte nichts Rechtes zustande, da war etwas in ihm, etwas Böses, das Macht über ihn hatte, das er fürchtete und dessen er nicht Herr wurde.
Dann, es war das Jahr 1926, war Anna gekommen, sein eigenes Kind, ganz Maries Ebenbild, wie es schien. Dieses Kind liebte er abgöttisch und je mehr die Liebe zu diesem Kind wuchs, desto mehr nahm die Abneigung gegen das andere zu, vor allem, wenn er Maries stummen, leidenden Blick bemerkte. Und der Kleine stand da, das Fäustchen gegen den Mund gepresst und schaute mit seltsam erloschenen Augen auf den geliebten Vater, der nach einer kurzen, abwesenden Begrüßung das Mädchen auf den Arm genommen hatte und es an sich drückte. War der Preis doch zu hoch?, hatte er sich ein ums andere Mal gefragt.
Das Malen gelang ihm immer weniger. Er zerrieb sich im Kampf mit seinen widerstreitenden Gefühlen und der Bedrückung durch die Sorgen des Alltags, der Mühen und Lasten, die seine kleine Familie ihm abverlangte.
Johannes ließ sich im Gras nieder. Der süßlich aromatische Duft des Frühlings umfing ihn. Die Wiese war schön, strotzte vor sattem Grün und der Pracht der vielen Frühlingsblumen. Gutes Gras, gutes Heu, dachte er. Kaninchen mussten her und vielleicht eine Ziege. Neben das Haus konnte er einen Stall bauen. Die Kinder hatten dann immer frische Milch. Ziegenmilch war gesund. Für einen Moment fühlte er sich an Geißen-Willi erinnert, der in der Schule neben ihm gesessen hatte. Er würde allerdings dafür sorgen, dass seine Kinder nicht nach Ziege stanken! Ordentlich gekleidet mussten sie sein.
Er konnte diesen Jungen, Georg, nicht richtig lieben, aber er sollte ordentlich aufwachsen, es sollte ihm an nichts fehlen. Das war in der letzten Zeit geradezu zu einer fixen Idee geworden. Den Kindern sollte es gut gehen! Dazu gehörte auch dieses Haus, das er bauen wollte. Er wollte für Friedrichs Sohn ein Haus bauen – wenn er ihn schon nicht lieben konnte. Sie mussten sparen, er musste noch mehr arbeiten, abends kleinere Schmuckstücke anfertigen, die er privat verkaufte, und er musste an den Sommerabenden in die Beeren gehen. Am Wochenende konnte man dann am Haus bauen. Maries Bruder musste helfen, das war die Familie ihm schuldig, wo er, Johannes, Marie vor der Schande bewahrt hatte, ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen. Es war keine gute Gegend, die Leimenäcker mit den Eisenbahnwaggons, aber sie hatten doch wenigstens ein eigenes Dach über dem Kopf.
Der andere hatte sich ins gemachte Nest gesetzt, das sagten alle im Dorf, aber er, Johannes Helmbrecht, würde sein Haus aus eigener Kraft bauen!
Er richtete sich auf und zupfte sich einige Grashalme aus dem Haar. Was für einen wunderschönen Blick man von hier oben hatte! Vor ihm breitete sich das Enztal aus, verschwand im blauen Dunst hinter dem Meistern, der seinen grünen Bergrücken weit ins Tal
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