Beerensommer
hineinstreckte. Fast wie auf meiner Schmuckkassette, dachte er. Marie bewahrte sie oben im Schlafzimmer auf. Auf der Frisierkommode stand sie und manchmal strich Marie im Vorbeigehen scheu darüber.
»Das ist doch viel zu gut für mich«, hatte sie am Abend der Hochzeit geflüstert, als er ihr die Kassette in die Hand gedrückt hatte.
»Mein Hochzeitsgeschenk!« Ob sie sie damals gesehen hatte, an jenem Samstagnachmittag in der Fichtenschonung, darüber hatten sie nie gesprochen – sie war nur zurückgezuckt, als er feierlich das Tuch zurückgeschlagen hatte, um sie ihr zu überreichen. »Lass gut sein«, hatte er gesagt, »ich habe sie doch extra für dich gemacht!«
Viel lag nicht in der Kassette, eine Granatkette aus dem Besitz ihrer Mutter und ein schmaler Ring mit einem kleinen blauen Stein, den er ihr zum letzten Weihnachtsfest geschenkt hatte. Aber eines Tages würde es mehr werden – irgendwann.
»Noch etwas, Marie«, hatte er gestern Abend beiläufig bemerkt und den Kleinen beobachtet, wie er auf seinen stämmigen Beinchen in der Küche herumgetappt war. »Kauf dem Jungen Schuhe, richtig gute Schuhe. Ich gebe dir morgen das Geld dafür.« Er hatte etwas vom Notgeld herausgeholt, das in einer flachen Blechbüchse unter der Matratze lag. Aber es war egal. Friedrichs Sohn musste anständige Schuhe haben!
Von der Grunbacher Kirche klang das Mittagsgeläut zu ihm herüber. Es war Zeit zu gehen. Marie wartete sicher mit dem Mittagessen. Er klopfte sich die Kleider ab, setzte seine Mütze auf und schlug den Weg zur Straße ein, einem staubigen Forstweg, der hinauf auf den Eiberg führte. Ein kleiner, kristallklarer Bach floss am Rande des Grundstücks den Berg hinunter. Sogar eigenes Wasser werden wir haben, dachte er, gutes Quellwasser vom Eiberg. Alles ist da, was wir zum Glück brauchen! Und in diesem Augenblick fühlte sich Johannes Helmbrecht wie ein König.
36
»Und, wie hat es dir gefallen?« Erwartungsvoll sieht Gretl sie an. Sie steht im Rahmen der Küchentür, in der unvermeidlichen geblümten Schürze, diesmal sind es kleine rote Blüten auf einem dunkelblauen Untergrund. Es riecht nach Sauerkraut. Anna schüttelt sich insgeheim. Das ist ja gar nicht ihr Fall! Gretl liebt es deftig und sie scheint der festen Überzeugung zu sein, für solche bleichen Stadtpflanzen wie Anna sei das genau das Richtige.
Anna schiebt sich an ihr vorbei und geht ins Wohnzimmer, teils um dem durchdringenden Geruch zu entkommen, teils auch weil sie auf die Frage jetzt noch keine Antwort weiß.
»Richard und Fritz lassen sich entschuldigen, sie müssen noch zu einem wichtigen Kundengespräch«, sagt sie, in der Hoffnung, Gretl damit abzulenken. Fritz hätte eigentlich bleiben können, denkt sie unwillkürlich und spürt einen leichten Anflug von Enttäuschung. Andererseits ist sie froh! Vorhin, bei der Hausbesichtigung, ist sie ziemlich befangen gewesen.
Aber Gretl lässt nicht locker. Sie ist Anna ins Wohnzimmer gefolgt. Sogar hier riecht’s nach Sauerkraut!, denkt Anna und reißt unwirsch ein Fenster auf. Ich benehme mich unmöglich, kommt ihr im gleichen Moment in den Sinn. Tue so, als ob ich hier zu Hause wäre. Und Gretl gibt sich solche Mühe mit dem Essen.
»Wie hat dir das Haus gefallen?«, fragt die im gleichen Augenblick.
»Ach, das Haus.« Anna lässt sich auf einen Stuhl neben dem Fenster fallen und starrt hinaus auf Gretls kleinen Garten. Dort oben, hinter den Wipfeln des Apfelbaumes steht es, dieses Haus. Was soll ich Gretl bloß sagen?, denkt sie unwillkürlich. Sie ist durch alle Räume gegangen, zögernd und doch auch neugierig. Die Stimme ihrer Mutter hat sie im Ohr gehabt, hat sie erzählen gehört von der »Klitsche mit dem Plumpsklo und dem Mief nach Armut – nicht einmal ein Badezimmer haben wir gehabt. Am Spülstein haben wir uns gewaschen, stell dir das mal vor. Und am Samstag hat mein Großvater eine kleine Zinkwanne in die Küche getragen, darin konnte ich baden.«
Der Spülstein steht heute noch in der Ecke der Küche, weiß gescheuert, wie ihn Johannes hinterlassen hat, oben ist ein kleines Regal mit Steinguttöpfen befestigt, »Soda« steht darauf geschrieben und »Seife«. Es gibt im unteren Stockwerk nur diese Küche und zwei Zimmer, die leer geräumt sind. »Der Holzwurm«, hat Richard vielsagend gelächelt und auf die kleinen Sägemehlhäufchen gedeutet, die überall im Haus liegen. »Alle Balken sind angefressen, auch die Treppe, deshalb haben wir die Möbel fortgeschafft.
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