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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Männer, die einen roh gezimmerten Sarg aus Brettern mitbrachten. Natürlich würde es ein Armenbegräbnis geben, der Großvater konnte zwar etwas beisteuern, aber das reichte nicht für einen schön gearbeiteten, dunkel glänzenden Sarg mit silbernen Beschlägen, wie der Vater noch einen gehabt hatte.
    Das Bild des toten Vaters holte Friedrich jetzt ein, als er an Wilhelms Bett saß! Der Vater lag aufgebahrt in der Wohnstube, im besten Anzug und bedeckt mit roten und weißen Nelken. Nur der stets so stolz aufgezwirbelte Schnurrbart hing traurig herunter und um den Mund hatte sich ein bitterer Zug eingegraben, der im Tod noch viel stärker sichtbar war. Später, als dann alles herausgekommen war, wusste man, warum. Aber am Tag des Begräbnisses hatte der Name Weckerlin noch einen guten Klang gehabt. Die Leichenträger waren gekommen, würdige Herren mit hohen weißen Kragen und Zylinder. Sie hatten den Sarg geschultert und durch das Dorf getragen, wo viele Menschen die Straßen säumten, auf denen Friedrich Weckerlin seinen letzten Gang durch den Ort angetreten hatte.
    Die Männer hatten ehrerbietig die Mützen gezogen, manche Frauen sogar geknickst und Friedrich, der neben der Mutter hinter dem Pfarrer gegangen war, in seinem guten Matrosenanzug und mit sorgfältig geputzten, glänzenden Schuhen, hatte seltsamerweise trotz aller Trauer eine tiefe Befriedigung gespürt.
    Nun würde es anders sein, ganz anders! Die Männer murrten über die »Schinderei«, angesichts des gefrorenen Bodens ein Grab ausheben zu müssen. Rücksichtslos und laut trampelten sie im Zimmer herum, wo die Mutter immer noch im Schmerz verharrte. Ein gutes Trinkgeld war bei dieser »Leich« schließlich nicht zu erwarten. Die Leichenbesorgerin, eine große und starkknochige Frau, hatte eine Schüssel mit Essigwasser neben sich gestellt und begann Wilhelm zu waschen. Sie packte ihn so grob an, dass Friedrich sie anherrschte: »Lassen Sie das, wir machen das selber!« Er und die Mutter wuschen Wilhelm behutsam, dann zogen sie ihm die Matrosenbluse an, die sorgsam eingepackt in einer Kommodenschublade verwahrt worden war. Natürlich war sie Wilhelm immer noch viel zu groß, aber wenn man die Ärmel umschlug, ging es einigermaßen. Schließlich holte die Mutter noch eine weiße bestickte Tischdecke, ein sorgsam gehütetes Überbleibsel aus besseren Tagen, und bedeckte damit den kleinen Körper bis zur Brust. Unter die gefalteten Hände des kleinen Bruders schob Friedrich das Pferdchen. »Jetzt hat er seinen Hannes dabei und ist nicht so allein«, flüsterte er der Mutter zu, die weinend nickte und seine Hand drückte.
     
    In diesen drei Tagen, in denen Wilhelm aufgebahrt lag, in seinem ungehobelten Brettersarg, den man auf zwei Stühle gestellt hatte, rührte die Mutter sich nicht weg von ihrem Platz. Sie saß aufrecht auf ihrem Stuhl neben Wilhelms Leiche. Nur ab und zu fiel ihr Kopf nach vorne und sie schien für einige Momente zu dösen.
    Die Stadtmühlenbewohner drückten sich immer wieder scheu in den Raum, bereit zu trösten oder zu helfen und das Kümmerliche, das sie hatten, zu teilen. Sogar der alte Mühlbeck blieb in diesen Tagen einigermaßen nüchtern und brachte schweigend den gut gefüllten Holzkorb, um einige Scheite nachzulegen. Emma, die gar nicht so richtig verstanden hatte, was geschehen war, hatte die Lene mit zu sich hinübergenommen und ab und zu durchbrach das helle Lachen der beiden kleinen Mädchen die gedrückte Stille, die über der Stadtmühle lag.
    »Ich weiß, was dir durch den Kopf geht! Ich seh’s dir an«, sagte Johannes am Morgen, an dem Wilhelm zum Kirchhof getragen werden sollte, zu Friedrich.
    »Was meinst du?« Friedrich wandte den Kopf nicht weg vom Gesicht des kleinen Bruders, als müsse er sich jeden Zug einprägen.
    »In dir ist eine solche Wut, eine Wut, dass du am liebsten alles zertrümmern möchtest. Die Stadtmühle hier und ...« Johannes machte eine ausladende Handbewegung, » ... am liebsten das ganze Dorf!«
    Johannes legte die Hand auf die Schulter des Freundes und drückte sie leicht. »Die sind alle schuld, denkst du. Alle sind schuld an Wilhelms Tod. Als Erstes natürlich der Doktor – du lieber Gott, wie du den angeschrien hast, ich habe gedacht, du schmeißt ihn zur Tür hinaus!«
    Der Doktor war doch noch gekommen, am späten Vormittag. Friedrich hatte ihn herfahren sehen, eingehüllt in seinen dunklen Pelz. Als der Doktor vorsichtig vom Kutschbock seines Pferdewägelchens gestiegen war,

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