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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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hatte er schon in der Tür gestanden und ihn mit einem Hagel von Beschimpfungen empfangen. »Elender Quacksalber« war noch das Harmloseste gewesen, und Johannes, der Friedrich nachgerannt war, konnte ihn gemeinsam mit dem alten Mühlbeck nur mühsam bändigen, sonst wäre er dem verdatterten Doktor an die Gurgel gegangen! Schließlich hatte ihn Friedrich unter gutem Zureden der anderen doch hereingelassen, denn der Doktor musste den Totenschein ausstellen. Er war dann schnell wieder gegangen, hatte sich in seinem kostbaren Pelz förmlich aus der Stadtmühle herausgeschlichen, denn mehr noch als die Wut des Bruders hatte ihm der stumme Vorwurf der Mutter zu schaffen gemacht.
    »Fritz, der Doktor hätte ihm in jener Nacht gar nicht helfen können. Ich denke, dass Wilhelm viel zu krank war. Keiner hätte ihm helfen können. Ich weiß, was du sagen willst.« Johannes verstärkte den Druck auf Friedrichs Schulter. »Die Stadtmühle ist schuld, nass und kalt, wie es hier ist. Die Umstände, unter denen ihr jetzt leben müsst, sind schuld. Wenn ihr noch in der Herrengasse leben könntet, dann würde Wilhelm leben, das denkst du doch, Fritz?« Forschend schaute Johannes den Freund an.
    Friedrich öffnete den Mund, beließ es dann aber bei einem kurzen Nicken.
    »So darfst du aber nicht denken, Fritz, keiner weiß das so genau. Wilhelm war immer schon kränklich. Mach dir alles nicht noch unnötig schwer, höre auf mit diesem Hass und mit dieser Wut. Du bist so erfüllt davon. Nichts anderes hat mehr Platz, nichts Gutes mehr. Ich mache mir Sorgen, Fritz.«
    Friedrich nahm die Hand des Freundes, die immer noch auf seiner Schulter ruhte, und drückte sie fest. »Du bist ein guter Freund, Johannes. Der beste, den ich jemals hatte und jemals haben werde! Du hast schon recht mit der Wut und dem Hass. Ich komme einfach nicht dagegen an. Aber lass nur, es wird schon besser werden.«
     
    Am nächsten Tag waren sie gemeinsam zum Kirchhof gegangen. Es war ein kümmerlicher Leichenzug und in der beißenden Kälte hatte sich sowieso niemand auf die Straßen gewagt. Nur einige neugierige Augen schauten hinter sorgsam zugezogenen Gardinen hindurch. Was war nur aus diesen Weckerlins geworden! Diese gebeugte Gestalt mit dem schlurfenden Gang war die einstmals so hübsche und immer gut gekleidete Frau Weckerlin. Der Junge, der neben ihr ging, hoch aufgeschossen und mit stolz erhobenem Kopf, sah seinem Vater sehr ähnlich. Genau der gleiche Hochmutsteufel in der ganzen Erscheinung! Und das Gesindel aus der Stadtmühle – sogar der versoffene Mühlbeck war dabei!
    Friedrich meinte die Blicke zu spüren, er meinte zu hören, was hinter den Fenstern geflüstert wurde. Er drückte seinen Rücken durch und ging noch straffer und aufrechter als sonst. Euch werde ich es zeigen! Ein Weckerlin duckt sich nicht!
    Später, am offenen Grab, in das der kleine Sarg herabgelassen worden war, dachte er noch einmal darüber nach, was Johannes zu ihm gesagt hatte. Er hatte recht gehabt mit jedem Wort! Mehr noch als der Kummer erfüllte ihn der Zorn über diesen Tod. Aber in einem Punkt hatte Johannes sich geirrt. Wilhelm war nie kränklich gewesen, das wusste er besser. Die Stadtmühle hatte ihn umgebracht, die Kälte, die Not und der Kummer über das Verlorene. Aber ihn, Friedrich Weckerlin, würden die Not und der Kummer nicht auffressen! Er konnte sie umwandeln in Wut und Hass, und das half! Er hatte Johannes angelogen, er würde im Gegenteil diese Wut und diesen Hass nähren, denn das würde ihn vorwärts bringen und ihn antreiben!
    Hier am Grab des Bruders würde er seinen Schwur erneuern: Ich hole euch heraus aus dem Elend, ich werde ein reicher Mann und dann sollen sie alle katzbuckeln und kriechen vor uns, alle, die uns verachten. Dabei kam es nur auf ihn an, auf ihn ganz allein! Mit Gott war nicht zu rechnen, im Stich gelassen hatte er ihn, sein letztes Opfer abgewiesen und das Holzpferdchen lag jetzt im Sarg beim toten Wilhelm, der nichts mehr davon hatte.
    Aber das konnte er Johannes nicht sagen. Johannes war ein guter Mensch, ein viel besserer als er. Erstaunlich, dass einer, der in solchen Verhältnissen aufwuchs, so ein guter Mensch sein konnte.
    Er war eben ein Künstler, einer, der sich eine eigene Welt erschaffen konnte – und das konnte er, Friedrich, nicht!
    Auf jeden Fall würde er Johannes mitnehmen auf dem Weg nach oben, denn weit bringen würde es der Freund gewiss nicht. Johannes – nicht nur sein Freund, sondern auch sein

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