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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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geblieben. Die Gesichter der jungen Soldaten, die gemeinsam mit ihm warteten, spiegelten Müdigkeit wider und Angst, die sie zu verbergen suchten, ihre Münder sprachen fahrig und lachten, versuchten die weinenden Frauen zu beruhigen, aber die Augen erreichte das Lachen nicht. In denen saß stumpfes Entsetzen.
    Johannes erinnerte sich daran, wie er am späten Nachmittag jenes ersten heißen Augusttages im vergangenen Jahr vom Katzenbuckel heruntergekommen war. Die Heidelbeerernte war dürftig in diesem Jahr, aber Guste hatte schon die ersten Himbeeren gefunden, groß und prall und rot waren sie. Sie hatten gelacht und mehr scherzhaft darüber beraten, dass Ludwig seinen Anteil heute nicht bekommen sollte, weil er seinem Vater eine halb volle Flasche Schnaps stibitzt und sie oben im Wald ausgetrunken hatte. Fast die ganze Zeit hatte er dann schnarchend auf der Auwiese gelegen.
    Immer noch lachend waren sie in die Wildbader Straße eingebogen und hatten plötzlich außergewöhnlich viele Menschen auf der Straße gesehen, Menschen, die die Köpfe zusammensteckten und tuschelten, manche mit ernsten und besorgten Gesichtern, andere lachend und aufgeregt. Die Menschentrauben waren dichter geworden auf dem Weg zum Lindenplatz, und vor dem Rathaus hatte sich dann eine größere Gruppe um den Büttel gedrängt, der ein besonders amtliches Gesicht aufgesetzt hatte und stärker als sonst die Glocke schwang.
    »Bekanntmachung, Bekanntmachung!« Und dann kam es – Kriegserklärung an Russland, Mobilmachung gegen Frankreich.
    Es gab also Krieg!
    Die Leute hatten in den Tagen und Wochen davor flüsternd davon gesprochen, in der Schule hatte Caspar plötzlich eine große Europakarte aufgehängt und von »historischen Augenblicken« und »Schicksalsstunden unseres Volkes« schwadroniert. Irgendein Prinz war mit seiner Frau in einem fernen Land erschossen worden, Johannes hatte gar nicht genau aufgepasst, denn was ging sie dieser Prinz an? Aber irgendwie schien es doch wichtig gewesen zu sein und eines Abends hatte die Ahne lauthals zu klagen begonnen, jetzt bräche das Unglück herein, der Dederer habe ihr heute beim Frühjahrsputz gesagt, dass es sicher Krieg gäbe. Sie hatten auf der wackligen Bank auf dem Hof der Stadtmühle gesessen, die Ahne, Lene und Frau Weckerlin, auch Frau Mühlbeck hatte sich scheu herangedrückt und hockte nun bescheiden etwas abseits auf dem Hauklotz, wo man sonst das Holz spaltete. Der Fliederbusch am Aborthäuschen war schon verblüht, aber die Zweige mit den dunkelgrünen Blättern streckten sich empor in den gleißend blauen Frühsommerhimmel. Die Mühlbeck-Jungen lärmten in einer Ecke und spielten mit Holzstecken »Soldat« und stachen sich gegenseitig tot, was jedes Mal mit martialischem Gebrüll begleitet wurde. Guste spielte mit Emma »Essen kochen«. Sie rührten Dreck mit Wasser an und servierten den unappetitlichen Brei auf Löwenzahnblättern.
    Diese Szene war Johannes immer noch deutlich vor Augen, alles schien so schön und friedlich zu sein, und mitten hinein war dann das Wort »Krieg« gefallen. Er erinnerte sich auch daran, wie Friedrich nachdenklich gesagt hatte, eigentlich sei so ein Krieg gar nicht so schlecht für die Leute, es gebe Arbeit, man müsse schließlich Kanonen und Gewehre bauen und tüchtige Männer könnten es vielleicht zu etwas bringen. Aber die Ahne war ihm aufbrausend über den Mund gefahren. »Krieg ist immer schlecht, merk dir das, Krieg bedeutet vor allem Tod!«
    Dagegen konnte man nichts sagen. In der Kirche hing eine Tafel, darauf standen die Namen der Grunbacher, die im Krieg 1870/71 gefallen waren, sieben Namen waren es insgesamt. »Und die habe ich alle gekannt«, hatte die Ahne erzählt, »so viel Herzeleid und Kummer.« Und dann hatte sie noch gemeint: »Und eines merk dir, Friedrich Weckerlin, im Krieg zahlen immer die kleinen Leute, Leute wie wir. Kann sein, dass einige reich davon werden, der Dederer reibt sich schon die Hände, aber Leute wie wir, die zahlen am Schluss die Zeche.« Friedrich hatte daraufhin geschwiegen, dennoch hatte er der Ahne nicht geglaubt, sie insgeheim wohl sogar belächelt.
    Aber die Ahne hatte recht gehabt, nichts war es mit dem schnellen Sieg, dem »Blitzsieg«, wie Caspar noch getönt hatte! Gleich nach den Sommerferien hatte er begonnen, auf der Landkarte Fähnchen zu stecken an den Orten, wo die deutsche Armee glorreiche Siege errungen hatte, und erst war es auch ganz gut vorangegangen. Im fernen Russland steckten solche

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