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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Fähnchen, ein besonders großes an einem Ort namens Tannenberg, und auch in weniger fernen Orten wie Lüttich und Antwerpen und bis weit nach Frankreich hinein konnte Caspar zunächst seine Fahnen stecken. Aber dann wurde die Fahnenparade dünner, die Fähnchen wichen sogar zurück, vor allem ein Fluss namens Marne schien eine unheilvolle Bedeutung zu haben. Und eines Morgens schließlich verkündete Caspar düster, in Flandern, bei einem Dorf namens Langemarck, habe die »Blüte der deutschen Jugend« ihr Leben für das Vaterland geopfert. Dann hatte er in riesigen Buchstaben quer über die Tafel geschrieben: »Der größte Sieg ist es, für das Vaterland zu sterben«, und hatte die Klasse aufgefordert, sich zu erheben und der Helden zu gedenken.
    Johannes hatte aber trotz all dieses Brimboriums und dieser blumigen Worte immer nur ein Bild gesehen: Er sah einen Berg von Menschenleibern vor sich, der immer höher wuchs, immer höher. Ob man das malen konnte? Er hatte keine Ahnung vom Krieg, aber das musste man doch mitbekommen, dass hinter all den Zahlen, die Caspar verkündete, Menschen steckten. Jeder einzelne Menschenleib war wichtig, wie er blutend auf der Erde lag und doch nicht mehr war als nur eine Zahl.
    Friedrich schien Johannes’ Sichtweise nicht zu teilen. Er hatte sogar mit ungewohnter Begeisterung ein Gedicht auswendig gelernt, das ihnen Caspar aufgegeben hatte. Es hieß »Deutsche Jugend 1914« und endete mit der Strophe:
     
    »Drum jauchzen wir in diesen Tagen,
    Drum sind wir trunken ohne Wein,
    Drum dröhnt’s uns aus der Trommeln Schlagen,
    O heil’ges Glück, heut’ jung zu sein!«
     
    Johannes erschien es merkwürdig, dass Jungsein vor allem das Vorrecht bedeuten sollte, sich totschießen zu lassen. Friedrich hatte ihm widersprochen und gemeint, er sei sehr enttäuscht, nicht alt genug zu sein, um am Krieg teilnehmen zu können. Er, Johannes, sehe einfach nicht die Möglichkeiten des Krieges.
    »Möglichkeiten!« Johannes war fassungslos gewesen. Zum ersten Mal stritt er sich ernstlich mit Friedrich. »Ich sehe vor allem die Möglichkeit, dass wir bald dermaßen am Hungertuch nagen, wie wir es uns noch gar nicht vorstellen können. Und wir von der Stadtmühle wissen, wovon wir sprechen. Die Ahne hat ganz recht. Willst du etwa abstreiten, dass es den Grunbachern grundschlecht geht? Viele Männer sind eingezogen und die Frauen wissen nicht, wie sie die Familie durchbringen sollen. Jetzt haben sie sogar schon angefangen, den Fichtenwald am Oberen Brühl abzuholzen und mehr Kartoffeläcker anzulegen. Und die Gemeinde hat extra Geld bereitgestellt, für arme Familien. Die Männer, die noch da sind, haben keine Arbeit, weil die Geschäfte geschlossen haben. Oder hast du vergessen, dass der Tournier fürs Erste ganz zugemacht hat?«
    Der Tournier war eine Firma, die sich am oberen Ortsende im Grunbachtal niedergelassen hatte. Fast vierhundert Männer waren bis vor Kurzem dort beschäftigt gewesen. Die Fabrik stellte Kameraverschlüsse und Spezialmaschinen her. Sie war eine große Hoffnung für die Grunbacher geworden, die fast ausschließlich vom Wald und der Flößerei lebten und im Winter deshalb meist arbeitslos waren. Friedrich wurde nicht müde zu betonen, dass es die Weckerlin-Großmutter gewesen war, die im Jahr 1902 eines ihrer Grundstücke an Alphonse Tournier verkauft hatte, der mit einem auffallenden Backenbart und dem Kopf voller Ideen aus Straßburg gekommen war. In der Tasche hatte er Patente für eine Kamera und suchte im armen Enztal einen günstigen Platz, um seine Pläne zu verwirklichen. Er schwatzte den Weckerlins das Grundstück zu einem günstigen Preis ab und begann mit fünf Arbeitern, eine Werkstatt aufzubauen. Friedrich bekam jedes Mal leuchtende Augen, wenn er davon erzählte, und Johannes musste insgeheim dabei lächeln. Das war eine Geschichte nach Friedrichs Geschmack! Johannes’ Vorhaltungen hatte er damals leichthin abgetan. »Pass auf, die machen auch bald wieder auf. Im Krieg braucht man doch jede Menge Sachen, Munition und so etwas!«
    Und tatsächlich, Ende des Jahres 1914 nahm die Firma den Betrieb wieder auf, allerdings um Granatzünder herzustellen. Wer nicht kriegsfähig war, wurde dienstverpflichtet. Auch viele Frauen gingen zum Tournier zur Arbeit, darunter auch Lene, deren »Kavaliere« mehr und mehr ausblieben. Zweitausend Menschen arbeiteten jetzt beim Tournier und Alphonse war ein reicher Mann geworden, ein sehr reicher Mann sogar.
    So gesehen hat

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